Durs Grünbein: „Der Komet“
Durs Grünbein legt einen geradlinigen und finsteren Roman über das Leben im Dritten Reich vor.
Dresden, diese Perle an der Elbe und liebreizende Barockstadt, gab den Menschen, die sie besuchten, schon seit jeher das Gefühl, sich für eine kurze Zeit so ganz außerhalb des Lärms der Welt wähnen zu dürfen. Der Protagonistin in Durs Grünbeins neuem Roman „Der Komet“ geht es ähnlich. Als Dora dort ihre Wohnung zu bezieht, scheint sie völlig gebannt von der Schönheit zu sein, zumal die Nationalsozialisten noch eins draufsetzen. Die pittoreske Szenerie soll zu „Deutschlands Mustergarten“ avancieren, ihr soll, floral ausgeschmückt, die „Rolle des Rosenkavaliers“ zukommen.
Dass ihre Anmut von den Schrecken des Hitler-Regimes jedoch lediglich abzulenken scheint, wird der jungen Frau erst nach und nach bewusst. Wie allzu viele verdrängt sie Mitte der 30er Jahre sowohl die Auslöschungspolitik gegen die jüdische Bevölkerung als auch die im Hintergrund stattfindende Aufrüstung – bis tatsächlich die Bomben über Dresden fallen.
Wer hätte sich vorstellen können, dass solch ein historisch angelegter, aber gänzlich fiktionaler Roman über das dunkelste Kapitel der deutschen Vergangenheit wieder eine derart traurige Aktualität erlangen könnte? Während wir in diesen Tagen die schockartige Brutalität des Antisemitismus vernehmen, zeichnet der 1962 geborene Büchnerpreisträger dessen Genese als Teil einer sich langsam, viral verbreitenden, völkischen Unkultur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach – von der Kennzeichnung mit dem Davidstern über die Ausgrenzung in Lokalen und Geschäften bis hin zu den Deportationen. All dies fügt sich in eine linear erzählte Zeitchronik, in der sich nationalistische Erlösungsfantasie mit zerstörerischem Wahn verdichtet.
Neben der Entwicklung des Zeppelins, der, kaum als deutscher Fortschrittstriumph gefeiert, mit dem Brand der Hindenburg ein jähes Ende erfährt, erweist sich der titelgebende Halleysche Komet in Grünbeins Lesart als weiteres Signum der Epoche. 1910 streift er die Erde und gibt eine symbolische Vorahnung von den Folgen des Zweiten Weltkriegs.
Was wir abstrakt aus Geschichtsbüchern wissen, dekliniert der Autor in einem Einzelschicksal psychologisch fein konturiert und ohne erhobenen Zeigefinger durch. Er meint es durchaus gut mit seiner streckenweise blauäugigen Heldin. Vielleicht weil sie schon im Privatleben viele harte Krisen bewältigen musste. Geboren in der schlesischen Provinz, wächst Dora in schwierigen Verhältnissen auf. Der Vater ist ein notorischer Säufer, die Mutter lieblos, das Leben von Armut überschattet. Für die Protagonistin steht daher fest: Sie muss sich selbst aus diesem Milieu befreien und nimmt deswegen früh verschiedene Gelegenheitsarbeiten an.
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