Bin ich deutsch und wenn ja, wie viel?
Zugewanderte haben sich anzupassen. Aber woran, fragt Leser Christoph Sorge. Vielleicht sollten wir den Begriff Leitkultur erst einmal richtig definieren.
Von Christoph Sorge
Leitkultur. Es war Jörg Schönbohm, Brandenburgs damaliger Innenminister, der den Begriff erstmals 1998 als politisches Schlagwort medienwirksam inszenierte. Seine Parteigenossen folgten ihm einige Jahre später – Friedrich März, Horst Seehofer und auch Angela Merkel.
Doch erst Thilo Sarrazin sollte mit seiner Streitschrift dem Mythos Leitkultur zum gesamtgesellschaftlichen Durchbruch verhelfen. Seitdem heißt es bei jeder sich bietenden Gelegenheit: "Die Türken müssen sich der Leitkultur fügen! Sonst klappt das nicht mit der Integration und Deutschland schafft sich ab."
So etwas nehmen die kritischen Bürger ernst. Und sie fragen zu Recht, wenn die Zuwanderer sich anzupassen haben, woran müssen sie sich denn eigentlich anpassen? Sowohl der genannte "National"-Ökonom als auch der Rest der deutschen Wutkulturalisten haben darauf bis heute keine Antwort gefunden.
Freiheit, Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit sind die verfassungsrechtlichen Begriffe, auf die stattdessen verwiesen wird. Sollte es das wirklich gewesen sein mit der deutschen Leitkultur, nicht mehr als juristische Begriffswelten? Als Anleitung oder zur praktischen Lebenshilfe für sogenannte Integrationsunwillige sind sie jedenfalls untauglich.
Selbst Johann Gottfried Herder, dem großen Kulturphilosophen des 18. Jahrhunderts, war eine Leitkultur völlig fremd. Konstitutives Element der deutschen Kultur bildete für ihn nur die deutsche Sprache: "Sie kann uns das sein, was dem kunstnachahmenden Menschen die Hand ist." Das Deutsche besitze eine "unglaubliche Gelenkigkeit, sich dem Ausdrucke, den Wendungen, dem Geist (…) fremder Nationen" anzuschließen, wie er in seinen Briefen zur Beförderung der Humanität lobte.
Der deutscheste aller Deutschen müsste nach Herder also der deutschtürkische Schriftsteller Feridun Zaimoglu sein, weil er in seinem Buch Kanak Sprak genau diesen Vorzug unserer Sprache, nämlich sich in andere Kulturen hineinversetzen zu können, meisterhaft verwirklicht.
Weiterlesen:
https://www.zeit.de/gesellschaft/2011-11...ltur-definition
Friedrich März
Das ist sogar eine Leidkultur, wenn sich der Bildung- oder Rechtschreibmangel bis in die höchsten journalistischen Kreise empört..
Bin ich deutsch – und warum wissen das schon alle?
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