Siegfried Lenz': Dringende Durchsage
Pünktlich zu Siegfried Lenz' zehnten Todestag am 7. Oktober erscheint eine Sammlung neuer Lenz-Geschichten. Die allermeisten von ihnen sind noch nie abgedruckt worden.
von Peter Helling
Es sind einsame Gestalten, die bei Siegfried Lenz die Seiten bevölkern. Ein Schuljunge im leeren Bus, ein Häftling, der die Freiheit nicht erträgt, ein Kriegsheimkehrer am zugigen Bahnsteig. Er geistert durch Kriegsruinen. Später bauen zwei Männer ihr zerstörtes Haus wieder auf, bleiben seltsam gesichtslos. Sie tragen Namen wie Stabreime, Godicke und Giese. Ein paar Seiten weiter, und wir blicken in den trostlos-kalten Alltag einer reichen Familie der 50er-Jahre: Sätze wie Holzspäne.
Reinhold Schmelz hat keine Leidenschaften, keine Hobbys, keine sonderlichen Engagements: Er hat die Betten- und Möbelfabrik (aber die Möbelfabrik ist noch im Ausbau), und er hat Familie. Zitat aus dem buch "Dringende Durchsage. Erzählungen"
Die Protagonisten ähneln Puppen. Ihren Witz, ihre Menschlichkeit entfalten sie im Interagieren mit anderen, wenn überhaupt. Komplexe Psychogramme sind dies selten. Eher: Linolschnitte, grob geschnitzte Plots. Die Wärme eines Heinrich Böll oder Wolfgang Borchert geht den Geschichten ab. Darin besteht auch ihr spröder Reiz, es macht sie aber auch schwerfällig.
Oft spielen Dinge eine größere Rolle als Menschen: zwei durchlöcherte Wehrmachtsstiefel oder das Holzschwert, mit dem ein Junge in den Nachkriegsruinen spielt, eine kindliche Waffe, die ihm der Vater sofort wegnimmt. Da wird ein Trauma spürbar.
Er zog dem Jungen ein paar über und zerbrach das Holzschwert und verbarg die Splitter wild in den Trümmerritzen, schob sie tiefer und tiefer und warf Backsteine darauf. Zitat aus "Dringende Durchsage. Erzählungen"
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https://www.ndr.de/kultur/buch/tipps/Dri...nz,lenz416.html
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