Meine Großmutter deutete mit erhobenem Zeigefinger auf die schmale Tür der Speisekammer.
„Niemals darfst Du da reingehen, hörst Du? Da ist der Butzemann drinnen!“
Ich rollte genervt mit den Augen.
„Naja, genug zu futtern hat er ja.“
Dann gab es mit der Suppenkelle, bis der Stiel verbog, immer auf den Hintern des Bengel, des vorlauten.
Die traditionelle Erziehung hinterließ oft blaue Flecken, wenn man die zweifelhaften Maßnahmen nicht akzeptierte.
Der Teller muss leer gegessen werden, sonst gibt es Regen. Schon früh wurde ich für das Wetter haftbar gemacht. Jahre später, als im Sommer die Schwiegermutter nach drei Tagen Sonnenschein im tiefsten Unwetter uns besuchte, hieß es boshaft: „Das hast Du mir doch wieder gegönnt!“
In der Schule gab es oft mit dem Lineal auf die Finger, wegen des Drecks unter den Nägeln, den ich nicht wert war. Nach acht Kilometer Heimweg auf dem Fahrrad und einem kärglichen Mittagessen ging es ans Holzhacken, sägen, Stämme keilen. Ein Ölstrich im Steinverschlag gab die Höhe an, die Vater vorgab. Wurde das Plansoll nicht erfüllt, stiefelte ich mit zwei Säcken los, Karnickelfutter pflücken, nur den guten Löwenzahn. Danach waschen, essen und ab ins Bett.
Am nächsten Tag zog der Lehrer mich an den Ohren von der Bank hoch, weil die Hausaufgaben nicht gemacht waren. Ein blauer Brief folgte und darauf eine Tracht Prügel. Und alle fragten sich, was aus dem Jungen bloß mal werden sollte.
„Vom Onanieren faulen die Hände ab“, sagte meine Mutter streng zu meiner jüngeren Schwester, „sag das deinem Bruder.“
„Was ist onanieren?“, fragte meine Schwester.
„Frag den Pfarrer!“
Der musste es schließlich wissen..
Als ich zehn war, sah ich im Oktober, wie mein Vater mein kaputtes Rad aus dem Schuppen stahl, dass mir Gott sei Dank der Weihnachtsmann repariert zurückbrachte. Überhaupt kamen alle Geschenke vom Weihnachtsmann, von meinen Eltern erhielt ich nie etwas. Im darauffolgenden April erkannte ich den Weihnachtsmann im elterlichen Schlafzimmer auch ohne Bart, vielleicht lag es am Gehfehler des Nachbarn. Im Frühjahr des nächsten Jahres sagte meine Mutter zu mir: „Der Klapperstorch hat dir“ ein Brüderchen gebracht:“
Ich nickte. „Weiß Papa das schon?“
Und bis heute glauben viele Leute, dass ich doof bin. Der Klapperstorch hat mir nie verraten, ob ich vielleicht der Sohn vom Weihnachtsmann bin.
Als Erwachsener erhielt ich von meiner Mutter oft den Vorwurf, dass ich bei der Erziehung meines Sohnes nicht autoritär genug sei.
„Aha. Ich sollte ihn wohl mit der Suppenkelle schlagen, wenn er seinen Teller nicht leer isst“, bemerkte ich spöttisch.
„Sei nicht kindisch. Eine etwas strengere Erziehung hat euch doch schließlich nicht geschadet.“
„Doch, Mutter. Das hat es.“
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Ganz so schlimm war es bei mir nicht. Aber die Sprüche sind mir immer noch suspekt: Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Wer einmal lügt ... etc.
Geschlagen wurde ich nie und es gab ja Sätze, bei denen die Erwachsenen nicht völlig unrecht hatten: 'Was du nicht willst, dass man ...' und 'Quäle nie ein Tier zum Scherz ...'.
Ein- bis zwei Macken muss ich mir dennoch eingefangen haben. Das scheint aber normal zu sein. Älter werden bedeutet auch traumatisiert werden.
Arthur Janov (Ein in den 70'er Jahren sehr populärer Psychologe 'The primal screem') hat mir in seinen Schriften ziemlich gut erklärt, was da abläuft. Leider gleich mit Universalkomplettlösungen, die er aber selber einige Jahre später relativierte.
Ich habe meine Kinder auch nie geschlagen. Sie sind dennoch etwas geworden - jedenfalls mehr als ihr Vater. Hö-hö.
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Das könnte meine Geschichte sein, nur in etwas verharmloster Form.
Erziehung kann echt schrecklich sein, vor allem, wenn die Erzieher nicht wissen, was sie tun.
Leo, mitfühlend grüßt
Schreiben macht schön.
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