Hartmut Lange: Der etwa vierzigjährige Mann
Ein Mann hält die Ödnis des Lebens nicht mehr aus und reist mit einem antiken Wagen durch die Zeit. Ein anderer Mann scheitert daran, eine Frau eine Todesnachricht zu überbringen. Neue, meisterhafte Novellen von Hartmut Lange.
Ein Mann steht an der Elbe, umgeben von Wasser. So wie das Uferlinie des Flusses nicht klar zu erkennen ist und sich im überfluteten Sumpfgebiet verliert, verschwimmen bald die Zeiten. Der Mann streift Mantel und Hose ab, zieht eine Tunika an und reist alsbald mit einem vierrädrigen Reisewagen, einer Carruca, fort.
Diese bringt ihn nicht nur nach Italien, sondern auch zwei Jahrtausende in die Vergangenheit: Der Mann kommt im antiken Rom an. Dort bewundert er erst die Architektur des Kolosseums, um dann vor dem blutigen Gemetzel der Gladiatorenkämpfe zu fliehen.
Der Gegensatz zwischen der Schönheit der Kunst einerseits und der Erfahrung von Gewalt andererseits setzt sich auf der weiteren Reise fort: Der Mann fährt mit seinem Wagen erst ins Florenz der Renaissance-Zeit und schließlich nach Frankreich.
Dort bestaunt er das Schloss von Versailles, wird aber wenige Jahre nach der Französischen Revolution auch Zeuge der jakobinischen Schreckensherrschaft. Als er schließlich am Grab von Georg Büchner in Zürich steht, ertönt eine Stimme:
Leben und Sterben sind unabänderlich, hörte er plötzlich, und niemand hat das Recht, seine Absichten, und seien sie noch so gut gemeint, mit Feuer und Schwert durchzusetzen. Das erbarmungslose, willkürliche Abschlachten mit einem Fallbeil war noch brutaler als die Unterdrückung durch die französischen Könige. Dafür hat sich die Revolution nicht gelohnt, und so hatte ich allen Grund, mich von der Politik zu verabschieden. Ich habe versucht, mich der Wissenschaft zu widmen, aber ich habe auch, wie sie wissen, Leonce und Lena geschrieben: Mein Leben gähnt mich an wie an wie ein großer, weißer Bogen Papier, den ich vollschreiben soll, aber ich bringe keinen Buchstaben heraus.
Hartmut Lange – Der etwa vierzigjährige Mann
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