Rasha Khayat: Weil wir längst woanders sind
Rasha Khayat erzählt von einer jungen Frau, die in Saudi-Arabien sucht, was Deutschland nicht hat
Barbara wird nicht zur Hochzeit ihrer Tochter fliegen. Sie ist wütend, enttäuscht. „Eine ihrer Launen ist das“, sagt sie ihrem Sohn Basil. „Fährt über zwei Jahre durch die Weltgeschichte, meldet sich nie und will dann einen völlig fremden Mann heiraten, in einem Land, wo sie nichts darf.“ Damit ist der Ausgangspunkt des Debüt-Romans der Münchner Autorin Rasha Khayat (siehe auch Freitag 11/2016) erzählt: Leyla, Basils kleine Schwester, ist in das Land ihres Vaters, nach Saudi-Arabien zurückgekehrt. Freiwillig. Hat sich nach traditioneller Manier einen Mann gesucht, einen Saudi. Was soll das? Fragt sich der große Bruder und tritt an, es selbst herauszufinden.
Die Erzählung erstreckt sich über einige Tage, die Basil bis zur Hochzeit bei der Familie seines Onkels in Jeddah verbringt. Das Leben in der Großfamilie, die ebenso Halt bietet wie einschränkt, wird anschaulich, nüchtern geschildert. Das luxuriöse Haus des Onkels, in dem auf sieben Etagen der ganze Clan untergebracht ist; der Zusammenhalt, die Herzlichkeit, die Zerstreuungen wie Eis essen oder Karten spielen. Dazu das karge Leben der pakistanischen und philippinischen Dienstboten, der Ärger mit der Religionspolizei, die Bedeutung des Freitagsgebets und die Tatsache, dass der Alltag von Männern und Frauen zumeist getrennt abläuft.
Parallel zu den Ereignissen in Jeddah wird die Geschichte der Familie in Rückblenden erzählt: Basil erinnert sich, wie er und seine Schwester nach Deutschland kamen. Der Vater, Assistenzarzt Tarek, wollte noch einmal studieren. Kurze Zeit später starb er an einem Herzinfarkt. Mutter Barbara, Krankenschwester, musste die Kinder allein durchbringen. Über den Tod wurde wenig gesprochen, überhaupt wird wenig gesprochen in der deutschen Familie. Über allen Teilen der Erzählung, die Deutschland betreffen, liegt eine eigentümliche Kälte, eine Mischung aus schlechtem Wetter, Protestantismus und Vereinzelung, die der Stimmung in Jeddah diametral entgegensteht. Das ist es aber nicht, was Leyla in die Arme ihrer Vaterfamilie getrieben hat; sie ist längst woanders, wie der Titel sagt.
Sprachlich ist das Buch solide, der Autorin gelingen schöne Situationsbeschreibungen, die eine spezifische Stimmung transportieren. In der Figurencharakterisierung gibt es aber Schwächen, die aus der Erzählperspektive resultieren: Leyla ist die Hauptfigur, der Ich-Erzähler aber Basil, der über seine Schwester vor allem in Anekdoten spricht, so kann man keiner Figur Tiefe geben. Weil er über sie spricht, aber kaum über sich, bleibt Basil selbst auch blass. Ähnliches gilt für die restlichen Familienmitglieder. In den Rückblenden wechselt die Erzählperspektive auf eine auktoriale Ebene, die den Motiven der Figuren aber zu wenig Aufmerksamkeit schenkt und verschenkt ist.
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