Jan Weiler: Der Markisenmann
Jan Weiler wurde bekannt mit den Romanen über seine italienische Familie: "Maria, ihm schmeckt’s nicht" und "Antonio im Wunderland". Nun ist sein neuer Roman erschienen: "Der Markisenmann".
Dieser Roman ist so ganz anders als die bisherigen Bücher von Jan Weiler. Keine Verarbeitung persönlicher Familien-Anekdoten und auch kein hadernder Kommissar. Die Geschichte spielt im Jahr 2005, Ich-Erzählerin ist die 15-jährige Kim, die mit ihrer Mutter, dem Stiefvater Heiko und dem Halbbruder Geoffrey in einer Villa in Köln lebt. Sie fühlt sich ungeliebt und vernachlässigt, strengt sich in der Schule nicht an, klaut aus Langeweile, testet alle Grenzen aus. Und dann wird Geoffrey durch Kims Schuld bei einem Unfall schwer verletzt. In den Sommerferien darf sie deshalb nicht mit nach Florida, sondern wird zu ihrem richtigen Vater geschickt: Ronald Papen, den sie seit 13 Jahren nicht gesehen hat. Er lebt in einer Lagerhalle im Industriegebiet von Duisburg. Zum Wohnen hat er einen Teil der Halle mit schwarzem Stoff abgetrennt.
Der ganze Raum strahlte etwas Provisorisches aus. Hier drin zu leben war, als wartete man in einer Telefonzelle darauf, dass der Regen aufhörte. Der Anblick dieser Halle brachte mir drei Gewissheiten: Mein Vater war ein armer Schlucker, er lebte allein, und ich hatte die schwierigsten sechs Wochen meines Lebens vor mir. Wenn ich hierblieb. Was ich ganz sicher nicht vorhatte.
Kim plant schon ihre Flucht, aber dann passiert etwas, womit sie nicht gerechnet hat: Sie mag ihren Vater. Ronald ist ein kleiner, sanfter Mann, der gut zuhören kann und keine bohrenden Fragen stellt. Und Kim lässt sich auf ihn ein. Sie will Antworten von ihm. Warum er ihre Mutter verlassen hat, seit 14 Jahren zwischen Autowerkstatt und Recyclinghof lebt und jeden Tag das Ruhrgebiet abfährt, bei Leuten mit Balkon klingelt und versucht, ihnen eine Markise aus DDR-Restbeständen zu verkaufen.
Es gibt die Markisen in zwei schrillen 70er-Jahre-Mustern, braun-gelb-orange und neongrün-blau-gelb. In all den Jahren ist Ronald erst 200 Stück losgeworden. Mit Kims Hilfe laufen die Geschäfte besser. Sie hat Ideen, schauspielerisches Talent und weiß, was die Leute hören wollen.
"Ich bin in der Ausbildung, das hier ist Herr Papen, mein Chef. Wir müssten bitte gerade mal die Melanin-Konzentration bei Ihnen messen. Hier in der Gegend gibt es damit große Probleme."
"Sehr große", stammelte mein Vater sekundierend. (…)
"Die Markise filtert das Melanin aus dem Sonnenlicht. (…) Wenn wir nach der Installation messen, ist der Balkon praktisch melaninfrei."
Es ist nicht der Hau-Drauf-Humor aus der "Pubertier"-Reihe, sondern ein subtiler, fantasievoller und anrührender Witz, der dieses Buch durchzieht. Eine großartige Vater-Tochter-Geschichte hat Jan Weiler hier hingelegt - und das in einem hinreißenden Setting.
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https://www.ndr.de/kultur/buch/tipps/Jan...,weiler124.html
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