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Die guten Dinge

#1 von Sirius , Heute 10:56

Die guten Dinge

Dass wir unsere heitere Miene nicht verlören, darum bat die alte Freundin. Es gab doch immer Momente, die das Herz wärmten.
Die Lehrerin von einst, die längst zur Freundin geworden war, übersandte einen Wunsch. „Kurz vor der morgigen Bahnfahrt“, schrieb sie, „möchte ich Dich unbedingt noch bitten, dass Du Deine heitere Miene nicht verlierst.“ Es falle zunehmend schwerer, schrieb sie, überhaupt zu verstehen, was um uns herum geschehe – „während die Sonne scheint, die Vögel singen, die Natur uns mit Schatten und dichtem Grün verwöhnt“.

Die Freundin hatte eine gewisse Expertise darin entwickelt, die guten Dinge zu bemerken. Die Freundin hatte die Zeiten schlechter werden gesehen, sehr schlecht, und dann wieder besser, sogar sehr gut, verglichen mit dem Davor. Die Freundin war 99 Jahre alt. Die Freundin hatte recht.
Das bestätigte sich etwa, wenn man am beschaulichen Urlaubsort recht spät noch in ein Lokal mit Gartenlaube eingelassen wurde. Spät war an beschaulichen Urlaubsorten stets relativ; was dort als spät galt, war daheim quasi nachmittags, und was daheim als spät galt, war dort praktisch schon nächtens.

Jedenfalls standen in der Laube bald die einzigen anderen Gäste auf, um zu gehen. Gefragt, ob sie uns etwa hier einsam und allein zurücklassen wollten, antworteten sie: „Bevor ihr kamt, waren wir hier einsam und allein.“ Und stellten uns fürsorglich die kleine Lampe hin, die bis dahin ihren Tisch beleuchtet hatte. Auch wärmte die Lampe, wie sich nun spüren ließ, aber vor allem innerlich, vor allem das Herz. 

180 Wochen und acht Jahre Krieg im Osten, 671 Tage Krieg im Nahen Osten, 25 Umfrageprozent für die Ewiggestrigen in unmittelbarer Nähe. Und doch. Und doch! Gab es die guten Gründe, seine heitere Miene nicht vollends zu verlieren, auch wenn es schwerfiel, sie vor sich selbst zu rechtfertigen in Zeiten, da im Fernsehen Männer dabei zu sehen waren, wie sie mit letzter Kraft ihr eigenes Grab schaufeln mussten. Auch wenn das riesengroße Land weiter die Wohnhäuser wehrloser Familien im ehemaligen Bruderstaat in die Luft jagte. Auch wenn die Menschen nicht in der Lage gewesen waren, daraus zu lernen, Demut womöglich, dass sie vor achtzig Jahren mit einer einzigen Bombe Hunderttausende getötet hatten und drei Tage später gleich noch einmal. Sie hatten nicht gelernt. Oder sie verlernten gerade wieder.

Die alte Freundin war dabei, ihr Leben aufzuschreiben, für uns alle. Ein Leben, in dem es oft steil bergab und dann wieder bergauf gegangen war. Diese Hoffnung strahlte sie immer und immer wieder aus: dass es irgendwann wieder bergauf ging. Es lag auch an uns, ob es diesmal zuvor wieder gar so weit bergab gehen musste.

https://www.fr.de/kultur/timesmager/krieg-180-93872340.html


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Sirius
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