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RE: Indien, Ursache und Wirkung

#1 von Karl Ludwig , 23.05.2016 09:34

Der allgemeine Inder isst kein Rindfleisch. Er hält Kühe für heilig, und seine göttlichen Entitäten sind größtenteils ulkige Multi-Tentakel-Figuren. Außerdem glotzt er wie doof und in manchen Gegenden gibt es scharf gewürzte Erbsensuppe zum Frühstück (Dahl oder so). Er fährt Auto wie ein Kamikazepilot seinen Flieger … äh … fliegt. Er ist ganz anders und je nachdem, ob man nun in Kashmir oder Goa nachguckt, in Radjistan oder Kerala, außerdem auch sehr unterschiedlich.

Nun, ich wäre fast zu spät gekommen, als ich mich auf den Weg machte. Jeder Hippie musste einmal an der fernöstliche Weisheit schnuppern, vorzugsweise mit viel 'Ganja'.

In Deutschland war die Gurumanie ausgebrochen, Eric Burdon sang ein Spottlied:

My leader told me to jump in the river
The river was deep and the weather was winter
After a sailer very kindly saved me
My leader told me, you'd better take it easy
I took it so easy my leader called me lazy

Hat aber nichts genutzt. Georg Harrison klampfte Sitar, die Gurubranche expandierte. Die Jungs und Mädels griffen sich eine Gitarre und Hesses Siddhartha, machten sich auf den Weg und kamen größtenteils einige Beulen später mit der sogenannten Hippiehepatitis zurück, - wenn sie Glück hatten -, oder sie waren erleuchtet bis zum Geht Nicht Mehr und predigten mit sanften Stimmen von der Einswerdung nach der Seelenöffnung für 'Knowledge' durch den Guru, welcher das dritte Auge aktiviert und so. Ich probte die Meditationstechniken (Die Weitergabe des 'Geheimnisses' an nicht Sektenmitglieder ist eine Todsünde, kann ich aber mit leben): Göttliches Ambra (Zunge zurück klappen und hinter das Zäpfchen schieben), göttliche Musik (Finger in die Ohren stecken und auf das Fiepen lauschen), göttliches Licht (Druck auf die Augäpfel bis es blitzt und schielen mit geschlossenen Lidern auf das dritte Auge) und Atemtechnik in göttlicher Harmonie (Konzentriertes Aufmerksamkeitswandern in Odemfrequenz zwischen Stirn und Bauchnabel). So ein Schmarr'n! Alle diese mysteriösen neuralen Reizerzeugungen (bis auf das Zurückklappen der Zunge) kannte ich schon als Kind und nutzte sie als Einschlafhilfen. Deswegen: Schnarch!

In Margao gab es allerdings eine 'Paradies Pharmacia'. Ein Berg aus Sari mit Gesicht lauerte wie eine schwarze, (in diesem Fall 'Bunte', was aber kaum auffiel) frischgebackene dicke Witwe hinter der Kasse und behielt alles im Blick. Ich wurde taxiert, seziert, auf die Speisekarte gesetzt und lächelnd begrüßt:

„Sir, can I help you?“

„Do you have painkiller?“

Eines der Kinne machte eine hinweisende Bewegung auf eine offene Schachten mit einzeln verpackten Asperintabletten.

„No-no. I mean REAL painkiller.“

Ein Schnippen und eine der Apothekenhelferinnen führte mich ins Hinterzimmer. Standgefäße voll mit diversen Giften erwarteten mich: 'Afyon, Eroin, Kodin, Mogadin, Morphin …' und mein innerer Schweinehund rieb sich die Hände: „May I test?“

„Yes.“

Ach ja, die Inder. In dem einen Bundesstaat brauchte es Bezugsscheine für Alkohol, woanders konnte man Opium in Gouvernementshops erwerben. In Goa lief das Giften unter 'ziemlich egal', denn die buntgetarnte Schwarze Witwe war die Schwester vom Polizeichef, der die Hippies als Gottesgeschenk sah, welche die einheimische Wirtschaft prosperierten. Außerdem garantierten die Hippies regelmäßige Erfolgsberichte, wenn er einmal im Jahr die Strände von Leuten mit abgelaufenen Visa räumte. Mit 100,00 $ konnte man einen Monat lang wie ein König leben. Die Hippies waren im direkten Vergleich ziemlich reich, konnten sich im Notfall bis zum deutschen Konsulat in Bombay, heute Mumbai, durchschlagen, oder von den Eltern Geld überweisen lassen. Die Ausländer im Zentralgefängnis Kerala wurden ja fast alle an den Grenzen mit Gift für den Export aufgegriffen.

Grinsend wie ein Breitmaulfrosch verließ ich den Laden, lieh mir eine Enfield Bullit, setzte meine Reisebegleiterin auf den Sozius und öttelte gemütlich nach Colva Beach.

Ein seltsames Land. Ich sah, wie ein deutscher Rettungsschwimmer zwei Kinder und einen Erwachsenen aus der Unterströmung zog, allerdings ließen die glotzenden Inder keine Wiederbelebungsmaßnahmen zu. Der Restaurantbetreiber zuckte nur die Schultern, als er mir ein Haifischsteak in Garlicsoap mit Fritten servierte. Ein Menschenleben hätte in Asien nicht so einen großen Wert. Heute denke ich, dass es vermutlich um ein Tabu ging. Tote werden in Indien durch die Kaste der Unberührbaren entsorgt.

Im Djungel stieß ich auf eine Schnapsdestille. Große Tonnen voll mit gärenden Früchten, und ein kleiner gestauter Bach. Die zwei Inder, welche die Apparatur bedienten, waren von meinem Besuch begeistert, füllten mich gekonnt ab (Fenni heißt das Zeugs) und freuten sich riesig über einige Dosen Sardinen. Ich hüpfte in den kleinen Teich und zog weiter, bis mir eine Stimme energisch „Stopp!“ zurief. Fast wäre ich gedankenlos über einen Reishaufen gestolpert, der vor einer Hütte zum Trocknen ausgebreitet war. 'Blöde Ausländer', hatte der Besitzer bestimmt dabei gedacht.

Impressionen aus meiner Jugend. Die gesellschaftlichen Spannungen der Bevölkerung wurden von niemandem wahrgenommen. Man war überprivilegiert, bewiesen durch die Tatsache, dass man es nicht nötig hatte zu arbeiten und über tausende von Kilometern gereist war, nur aus Dafke, und dennoch mit Geld um sich warf. Aushang an der 'Salvation Army', der einzigen rattenfreien Unterkunft in Bombai neben dem Tadsch Mahal: 'Don't do any exchange on the Street. We learned it by tha hard way.' Straßenkinder mit Plastiktüten um Klebstoff zu schnüffeln, Bettler, deren Changen das nächste Jahr zu erleben, sich im Negativbereich rum trieben ...

Ich habe fast ganz Indien erlebt. Und dennoch nur verstanden, dass die Leute dort genau so blöde sind, wie wir Deutschen. Aber diese Erwartungshaltung mag auch daran Schuld tragen, warum mir ständig Komisches passierte und jegliche Erleuchtung einen großen Bogen um mich schlug.


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RE: Indien, Ursache und Wirkung

#2 von Sirius , 23.05.2016 21:36

Das war wieder sehr informativ und unterhaltsam, klsa. Du bist rumgekommen, das steht fest.
Deine Geschichten sind immer locker erzählt und glaubhaft.
Gefällt mir immer außerordentlich gut.

Sirius


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RE: Indien, Ursache und Wirkung

#3 von Karl Ludwig , 24.05.2016 11:39

Im Prinzip bin ich gar nicht so unstet. Man kann mich seit fast 40 Jahren unter der gleichen Adresse und Telefonnummer erreichen. Manchmal muss man halt einige Wochen oder Monate auf den Rückruf warten. Auch meine (einzige) E-Mail-Addi war/ist schon immer die Selbe.

Nun, in der Auslaufphase meines irdischen Daseins, werde ich a bisserl erinnerungssentimental, aber immerhin denke ich auch über solch tiefschürfende Angelegenheiten nach, wie z.B.: Es gab für die Evolution offensichtlich keinen Grund, das Altern, das Verlöschen und Vergehen bei lebendigem Leibe, etwas angenehmer zu gestalten, was nur meine Meinung bestätigt, dass die Natur bei der Natur in schlechten Händen ist, siehe Blinddarm und die, im Rachen zusammengelegte Luft- und Speiseröhre, was wiederum jeder Theorie von der 'Krone der Schöpfung' widerspricht. Schon Fische mussten deswegen husten und die Natur kam einfach nicht auf die naheliegende Idee, eine bessere Lösung zu finden. Die Erkenntnis über die wahre Natur der Natur ist eine wahrhaft revolutionäre Antithese, die sich schon ziemlich weit herumgesprochen hat. Wirklich, ich wär' sogar bereit vom Pfusch der Genesis zu schreiben, wenn, ja, wenn ich nicht noch immer schierbass das Wunder aller, insbesondere meiner, Existenz bestaunen würde.

Das 'Glaubhafte' an meinen Reiseberichten ist die Tatsache, dass die Geschichten weitgehendst authentisch und wahr sind, wenn man Wahrheit als etwas Variables und nicht Absolutes betrachtet. Klar, alles durch die Gnade dynamischer Erinnerungen etwas interessanter gestaltet, manchmal sogar leicht übertrieben, was ja 129 % aller Menschen tun, wie ich vernahm, aber im Radio-Eriwan-Prinzip wahr. Habt ihr schon mal ein junges, umwerfend schönes chinesisches Mädchen mit knallgrünen Schlitzaugen und pechschwarzen Haaren an der Rezeption erlebt? Ein Anblick, der zumindest mich mit allen Fehlern der Natur wieder versöhnte: „Far out. What a combination. Very pretty.“ „Thank you.“

Ich habe so viele interne und externe Wunder erlebt, frag mich doch mal.

„Ach ... frag nicht.“


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RE: Indien, Ursache und Wirkung

#4 von Sirius , 24.05.2016 20:49

Ich bin dabei, meine eigenen Wunder zu sortieren, guter klsa.
Und wenn ich damit fertig bin, dann frag ich dich. Dann wunderst du dich wohl.

Sirius


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