Die Dämmerung
Ein dicker Junge spielt mit einem Teich.
Der Wind hat sich in einem Baum gefangen.
Der Himmel sieht verbummelt aus und bleich,
Als wäre ihm die Schminke ausgegangen.
Auf lange Krücken schief herabgebückt
Und schwatzend kriechen auf dem Feld zwei Lahme.
Ein blonder Dichter wird vielleicht verrückt.
Ein Pferdchen stolpert über eine Dame.
An einem Fenster klebt ein fetter Mann.
Ein Jüngling will ein weiches Weib besuchen.
Ein grauer Clown zieht sich die Stiefel an,
Ein Kinderwagen schreit und Hunde fluchen.
Alfred Liechtenstein
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Opus Null
Er zieht aus seinem schwarzen Sarg
um Sarg um Sarg um Sarg hervor.
Er weint mit seinem Vorderteil
und wickelt sich in Trauerflor.
Halb Zauberer halb Dirigent
taktiert er ohne Alpenstock
sein grünes Ziffernblatt am Hut
und fällt von seinem Kutscherbock.
Dabei stößt er den Ghettofisch
von der möblierten Staffelei.
Sein langer Würfelstrumpf zerreisst
zweimal entzwei dreimal entdrei.
Hans Arp
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Gold
FRED wird in einem braunen Tabakballen
Vom Hafen auf die Zollstation getragen.
Dort schläft er, bis die Schiffsuhr zwölf geschlagen.
Erwacht und schleicht sich in die Lagerhallen.
Am Gold-Depot, wo trunkne Wächter lallen,
Lässt er den kleinen Mörtelfresser nagen,
Bis wie beim Kartenhaus die Mauern fallen.
Dann lädt er Gold in einen Grünkohlwagen.
Als Bauer fährt er sächselnd durch den Zoll.
Doch dort verraten ihn zwei blanke Barren.
Berittne jagen den Gemüsekarren.
Fred sinnt verwirrt, wie er sich retten soll.
Da sitzt DER FREUND in hoher Eberesche.
Und schießt ihm pfeiferauchend eine Bresche.
Ludwig Rubiner/Friedrich Eisenlohr/Livingstone Hahn
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Das ist die Wiese Zittergras
Das ist die Wiese Zittergras
und das der Weg Lebwohl,
dort haust der Hase Immerfraß
im roten Blumenkohl.
Die Rosenkugel Lügnichtso
fällt auf das Lilienschwert,
das Herzstillkräutlein Nirgendwo
wird überall begehrt.
Der Hahnenkamm geht durch den Tau,
das Katzensilber gleißt,
drin spiegelt sich die Nebelfrau,
die ihr Gewand zerreisst.
Der Mohnkopf schläfert alle ein,
bloß nicht das Zittergras,
das muss für alle ängstlich sein,
auch für ein Herz aus Glas.
Christine Lavant
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Der Zahnarzt
FRED ölt die Bohrmaschine als Dentist,
DER FREUND, im weißen Kittel, fesselt schon
An seinem Stuhl den dicken Herrn Baron
Und Bankier Epstein (fünfzig Jahre, Christ).
Dann fängt Fred an, ihn ernstlich zu bedrohn.
Da er zu keinem Opfer willig ist
- Indes der Bohrer immer tiefer frisst -
Greift er zum Hebel für die Extraktion.
Fred fordert nun ein Wöchnerinnenhaus.
Der Bankherr zögert lang mit dem Akzept.
Da werden neue Zangen rangeschleppt.
Herr Epstein füllt sofort den Wechsel aus.
Und in der Angst um seine letzten Zähne
Stützt er Freds Kunstzeitschrift: „Die Innenträne“.
Ludwig Rubiner/Friedrich Eisenlohr/Livingstone Hahn
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Mittag
Ein Leichenwagen wird zurechtgemacht.
Zwei Rangen ärgern einen blöden Greis.
Vor allen Toren räkeln Schwangre sacht
und mittagsfaul den breitgesessnen Steiß.
Arbeiter warten auf den Glockenschlag
und lümmeln schwer in Wiederkäuerruh,
die Hände tiefversenkt im Hosensack
sehn sie gespannt zwei geilen Hunden zu.
Aus einer Schenke klappert das Geschirr,
man hört, wie glucksend Flüssigkeit verrinnt.
Ein unsichtbares Wesen winselt irr,
und sachgemäß zerstört ein Weib ihr Kind.
Max Hermann Neiße
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Mein Gedicht
Ich schreibe ein Gedicht.
Ich veranstalte eine Expedition.
Ich mache mich davon
aus Antwort und Beweis.
Ich trete in den Kreis
der Fragen. Ich bin im Licht,
das auf die Mitte des Dickichts fällt.
Warum und woher?
Ich schlage mich quer
durch Gelee und Asbest.
Die Meridiane sind verwest.
Mein Gedicht ist die Welt
der diagonalen Messer.
Ich bringe das Winzige heim.
Ich gehe dem Ungeheuren nicht auf dem Leim.
Ich setze die Ewigkeit fort.
Ich versuche den Mord
an den Rechnungen. Mein Gedicht ist besser.
Wolfgang Weyrauch
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Karnevalist
Detektiv Greiff in violetter Seide
Verfolgt zwei Masken hinters Karussell;
DER FREUND als Doge, Fred als Wilhelm Tell
Bezeichnen einen Baum mit weißer Kreide.
Dann tönen Käuzchenschrei und Hundsgebell.
Zwei Männer nahn verkappt im Frauenkleide.
Vier gegen eins! Man schleppt Greiff in die Haide
Und näht ihn hurtig in ein Eisbärfell.
Der Ferndraht spielt bis zu den Balearen.
Der schweren Suche lässt sichs nicht verdrießen
Ein Aufgebot von fünfzehn Kommissaren.
Man findet einen Sack, der Sack muss niesen.
Greiff wird befreit, doch mit gebleichten Haaren:
Fred und der Freund sind gegen Blutvergießen.
Ludwig Rubiner/Friedrich Eisenlohr/Livingstone Hahn
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harris wahrheit
di vrau iss keine vrau di iss ein drachnn
di zeterrt wenn ess hell würd venngt diss ann
zu hause hap ich würglich nichts zu lachnn
di hellt mir schtenndig vor was ich nich kann
di lesst mich einvach nich verrschnauvnn
soballt ich sittze schreit di ich wer vaul
ein lummp unnt könnte obennrein nur sauvnn
der schtov ich sicherr ürrgendtwann dass maul
di wärde ich noch mitt dem hammerr schlagnn
inn meinerr wut di brinkt mich noch soweit
unnt dann passirz di schlegt mir auv den magnn
doch manchmal tut di mir auch widerr leit
wenn di garrdinenn auss dem vennsterr wen
schter di ganns schrüll beim küchennschrannk
di vrau di soll ein mann wi ich verrschten
schtarrt vor sich hinn alls wer di krannk
Stefan Stein
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Locklied
Willst du meine Schrippen bestrippen?
Soll ich deine Backen auspacken?
Willst du meine Stellen abpellen?
Soll ich deine Flecken entdecken?
Willst du meine Axeln bekraxeln?
Soll ich deine Haxen befaxen?
Willst du meine Lappen betappen?
Sollich deine Happen aufschnappen?
Willst du meine Ecken ablecken?
Soll ich deine Schnecken abschmecken?
Willst du meine Ritzen beflitzen?
Soll ich deine Spitzen erhitzen?
Willst du meine Morchen beschnorcheln?
Soll ich deine Funzeln rapunzeln?
Willst du meine Muskeln majuskeln?
Soll ich deine Datteln besatteln?
Willst du meine Koppeln behoppeln?
Soll ich deine Moppeln verdoppeln?
Willst du meine Gipfel bewipfeln?
Soll ich deine Wipfel bezipfeln?
Willst du mir ecetraecetra?
Soll ich dir ecetrapepe?
Jan Koneffke
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Die Dämmerung
Ein dicker Junge spielt mit einem Teich.
Der Wind hat sich in einem Baum gefangen.
Der Himmel sieht verbummelt aus und bleich,
Als wäre ihm die Schminke ausgegangen.
Auf lange Krücken schief herabgebückt
Und schwatzend kriechen auf dem Feld zwei Lahme.
Ein blonder Dichter wird vielleicht verrückt.
Ein Pferdchen stolpert über eine Dame.
An einem Fenster klebt ein fetter Mann.
Ein Jüngling will ein weiches Weib besuchen.
Ein grauer Clown zieht sich die Stiefel an.
Ein Kinderwagen schreit und Hunde fluchen.
Alfred Lichtenstein
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Das Attentat
Am Flügel sitzt DER FREUND mit der Sonate.
FRED reizt indes die Kili-Kili-Schlange.
Dann klemmt er sie mit einer Christbaumzange
In einem Rosenstrauß zum Attentate.
Als sich der Großfürst breit im Wagen nahte
Streift ihn der Strauß an seiner rechten Wange.
Im Séparé stirbt er beim zweiten Gange.
Miss Lily zieht entsetzt den Wirt zu Rate.
Die Polizei stellt sorgsam ihre Netze.
Scheinwerfer naht bei wilder Dächerhetze.
Die Freunde flüchten in die Kohlenzechen.
Dort trifft man sich zu heimlicher Verschwörung.
Die Nihilisten feiern das Verbrechen.
Im Lande schwelt die Flamme der Empörung.
Ludwig Rubiner / Friedrich Eisenlohr / Livingstone Hahn
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Dieses Gedicht kommt ohne ein einziges „e“ aus
So war's in Zwanzig-Zwanzig
Im Frühjahr lag ich da, um mich zu ruh'n
mit Tuch ganz dicht und warm auf mir.
Das Haupt döst sanft auf Samt.
Ich hatt' halt grad mal nichts zu tun,
als plötzlich ich aufwach' und spür:
Oh! Kloß im Hals! Muss ich nun flugs zum Amt?
Oh, Kloß im Hals, hältst Platz für Luft mir ab!
Ich hust' und hust', fühl krank mich schon.
Was ist? Was bricht da aus mir raus?
Ich stöhn' und ächz' und fühl mich richtig schlapp.
Durch's Ohr rauscht's unwirklich im Sing-Sang-Ton
mit Druck und Knick und Knack und Braus.
In mir nun Glut, und Schwitzdrang, tropisch warm,
kommt auf, wo vormals ich noch fror.
Ich ring nach Luft, doch Brustkorb hart und starr
und Atmung flach und spärlich-arm.
Ich saug', ich schnaub', ich schnapp, zuvor
noch fix das Bonbon für'n Katarrh.
Gib Luft mir bald, gib Kraft mir rasch zurück,
doch Organismus fällt zurück aufs Samt ganz schlaff.
Bin krankhaft häuslich nun, fühl mich so lausig, kläglich.
Mag nichts hör'n und tun, aß nicht mal Frühstück.
Positiv war Abstrich nur! Ob ich das raff?
Wodurch das zu mir kam, frag ich mich täglich.
Mir wird ganz Angst und Bang.
Unrast mischt sich mit Furcht vorm Tod,
löst Panik aus, brisant Akut-Situation.
Bis Impfung kommt, wirkt krampfhaft lang.
In Klinik muss ich nicht, 's kommt bald ins Lot.
Nachwirkung wird publik als schlimm' Option.
Mit Ach und Krach klingt ab das Virus, das Symptom.
Noch bin ich mickrig, gar nicht klar.
Was kommt zum Schluss da wohl noch raus?
In Zwanzig-Zwanzig solo, still, ohn' Klag, ohn' Ton.
Kurzatmig nur noch durch das Jahr
mit Lyrik, unnötig und nutzlos für zuhaus.
Verena Frechen
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In diesem Beispiel ein Gedicht nur mit dem Vokal „a“
Hach! Marta malt am Mandala.
"Mal's da mal an!", sagt Sandra da,
"da passt schwarz, grad da am Rand..." -
"Was hast'n? Quatsch, Mann!", Marta fand.
Krach gab's, arg war Sandras Anfall.
Anstand? Am Arsch. "Radar an! Brandfall!",
warnt Marta, "Sandra rast. Packt an!
Das Aas hat Kraft, krallt hart - Aaaatsch - Mann!"
Papa, Rat am Start, naht standhaft,
halbtags Bahnrad-Star, hat Handkraft,
ward Sandras habhaft dann alsbald,
fragt: "War was, Madls? Hat's da g'knallt?"
"Naja", sagt Sandra, "Marta hat
das Mandala falsch ang'malt, statt
da am Rand mal schwarz..." - "Ach was!",
klagt Marta, "Alta, hass das krass!"
"Halblang", mahnt Papa da handzahm,
"Sagt mal! Lachhaft! Macht mal langsam.
Mama hat bald Lachs parat
an Blattsalat - das passt ja grad."
"Lachs sucks", sagt Marta. "Hahaha",
Sandra lacht's nach - "Achja, achja":
Papa hat's g'ahnt, kratzt matt am Arm,
strahlt Mama an, macht Pasta warm.
Thilo Adam
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