Mascha Kaleko
Bleibtreu heißt die Straße
Vor fast vierzig Jahren wohnte ich hier,
..zupft mich was am Ärmel, wenn ich
so für mich den Kurfürstendamm entlang
schlendere – heißt wohl das Wort.
Und nichts zu suchen, das war mein Sinn.
Und immer wieder das Gezupfe.
Sei doch vernünftig, sage ich zu ihr.
Vierzig Jahre! Ich bin es nicht mehr.
Vierzig Jahre. Wie oft haben meine Zellen
sich erneuert inzwischen
in der Fremde, im Exil.
New York, Ninety-Sixth-Street und Central Park,
Minetta Street in Greenwich Village.
Und Zürich und Hollywood. Und dann noch Jerusalem.
Was willst du von mir, Bleibtreu?
Ja, ich weiß. Nein, ich vergaß nichts.
Hier war mein Glück zu Hause. Und meine Not.
Hier kam mein Kind zur Welt. Und musste fort.
Hier besuchten mich meine Freunde.
Und die Gestapo.
Nachts hört man die Stadtbahnzüge.
Und das Horst-Wessel-Lied aus der Kneipe nebenan.
Was blieb davon?
Die rosa Petunien auf dem Balkon.
Der kleine Schreibwarenladen.
Und eine alte Wunde, unvernarbt.
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Lieber Sirius,
Ich liebe dieses Gedicht von Mascha K. Die leise Wehmut , das Grauen, was sich hinter scheinbar so harmlos daherschlendernden Worten verbirgt.
Herzlichen Dank für die Erinnerung!
Frollein a.
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Darüber freue ich mich sehr, liebes Frollein.
Wenn man bedenkt, wie viele Millionen Menschen es in diesem Land gibt, die diese Zeiten wiederhaben möchte, kann einem angst und bange werden.
Sirius
Reset the World!
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