Juli Zeh: Unterleuten
Juli Zehs neuer
Roman „Unterleuten“ spielt in Brandenburg auf dem Land – wo ein ermüdender Fatalismus herrscht
„Das Tier hat uns in der Hand.“ Erster Satz, wörtliche Rede, darin sind nicht alle, aber viele Dinge enthalten, die sich über 600 Seiten durch Juli Zehs neuen Roman strecken werden. „Das Tier“ ist Nachbar und Urteil, es spricht eine, die aus der Stadt kommt, jetzt im Dorf wohnt, der Nachbar macht ihr, ihrem Mann und dem Neugeborenen das Leben unmöglich, er benimmt sich, meint sie, wie sich Menschen eben nicht benähmen. Denn „das Tier“ lässt an der Grundstücksgrenze fortlaufend Reifen brennen, der giftige Rauch vermiest Jule und Gerhard den heißen Sommertag, sie verrammeln die Fenster, schwitzen, das Kleinkind schreit, die Nerven liegen blank. Die Feuer selbst deuten auf Macht und Ohnmacht, auf die komplexen Verhältnisse im Dorf und die schwere Bürde, die Nachbarschaft in einem kleinen Ort bedeuten mag. Sie deuten aber auch auf die festen Meinungen, die man über das richtige Leben haben kann, denn natürlich hat auch der Nachbar gute Gründe für seine Feuer.
Unterleuten ist ein Gesellschaftsroman, ein selten gewordenes Genre. Immer häufiger wanderten diese, nachdem sie ursprünglich die Enge der traditionellen Welt durchmessen hatten, im 20. Jahrhundert mit dem Anspruch, die ganze Gesellschaft ihrer Zeit modellhaft abzubilden, in die Städte. Jetzt kehren sie zurück ins Dorf und aufs postindustrielle Land, bleiben aber im Blick der Metropolen.
Juli Zeh hat Unterleuten in Brandenburg angesiedelt. Die Gesellschaft, in die wir hier eintauchen, hat drei wesentliche Probleme: Erstens hat die Geschichte die Region besonders häufig mit Verheerungen bedacht (Raubritter, jahrzehntelange Kriege, Preußentum), sie dafür mit kargen Böden und wenigen Bildungsinstitutionen kaum entschädigt; außerdem liegt Brandenburg wie ein Ring um Berlin, was einem dauernden Ertragen-Müssen gleichkommt. Daraus ergibt sich eine unmoderierte Nähe verschiedener Formen von Kleingeist und Starrsinn, denn hier wie dort glaubt man ganz gern an die eigene Wahrheit.
Früh im Geschehen postuliert der Berlin-Flüchtling Gerhard mit Blick auf den verqualmten Garten, dass die „heilige Aufgabe dieser hektischen Epoche“ genau darin liege, „das Bestehende gegen die psychotischen Kräfte eines überdrehten Fortschritts zu verteidigen“, und man ahnt, wie dämlich so etwas im Dorf ankommt. Dennoch kann man noch kurz darüber nachdenken, ob sich in Deutschland die oft bornierte Stadt-Land-Differenz mit weniger bürgerlichen Umgangsformen denn besser als in Brandenburg verorten ließe. Aber da sind wir schon über die ersten Kapitel des Romans hinaus, die interessante Setzung verblasst bereits.
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