Zwei Seiten in mir
Flachsfelder blühen in meinem Kopf und fordern schweren Rotwein zur Ernte. Ich ignoriere das und tröste mich mit Fleischbrühe aus frisch gekochten Rinderknochen.
Das Ergebnis ist verbüffelnd. Statt einer Ode an meine Unzulänglichkeit sprudeln fettarme Kalauer aus den Hirnrinden, beträufeln mich mit Agonie und zwingen mich zu Plattheiten. Ich wehre mich mit gepflückten Johannisbeeren und neugeborenen Strauchtomaten und erlebe eine Neuinstallation der Geschmacksnerven.
Auf der Bank unter der schwedischen Mehlbeere will ich mich sammeln mit würzigem Tabak. Ausflugsdampfer trompeten lärmende Touristen herbei, deren Blicke an der mannshohen Heckenwache scheitern.
Die Ruhe suspendiert mein Denken, aber Gedankenfragmente kommunizieren miteinander, schläfern meinen Willen ein, und ganz sacht schleicht über die ausgestreckten Beine eine Müdigkeit den Körper empor.
So wohlig warm und entspannt bin ich hilflos den tanzenden Fantasien ausgeliefert, Musik aus Erinnerungsbeständen untermalt ein heilloses Durcheinander diffuser Einfälle, die zu ungebeteten Wortmeldungen werden:
Auf dem Wochenmarkt bietet man freilaufende Eier an, Kartoffeln aus Bodenhaltung und Bananen für Linkshänder.
Eine Zitrone ist sauer auf einen Apfel, der nicht Mus, sondern eine Muse will. Die aber will nicht länger für jeden der Pampel sein. Eine Apfelsine errötet zur Orange, Möhren sind mit Karotten verwurzelt, eine Birne träumt von ihrer politischen Vergangenheit, und eine Mandarine möchte lieber ein Musikinstrument sein.
Und Bauer Harms weist daraufhin, dass seine eigenen Eier aus der Hodenhaltung stammen.
Meine Waschmaschine ernährt sich heimlich von meinen Socken. Sie flirtet mit dem Wäschetrockner und macht sich gerade auf dem Weg ..
Die Kaffeemaschine zweigt Kaffee für ihren eigenen Bedarf ab, der Toaster glaubt, er kann auch flambieren, und das Faxgerät lehnt jede Eingabe als Spam ab. Der Tiefkühler meint, er sei eine Telefonzelle und öffnet nur in Notfällen, der Staubsauger schlaucht mich, und der Fernseher entscheidet selbstständig, was Favoriten sind.
Meinem Anzug sind seine Klamotten Jacke wie Hose, Sockenwaisen sehnen sich nach ihrem Zwilling, die Gürtel sind immer in der falschen Hose, Schlipse möchten endlich mal ungebunden sein, und der Pyjama träumt von Japan.
Schlagunartig erwache ich, die Sonne schweigt mir ins Gesicht, die Pfeife noch warm in der Hand.
Vielleicht nur ein Vitaminschock, denke ich oder Selbstheilung eines Verlassenen.
Proletenunsinn von einem, der sich nach jedem Wort bücken muss, plötzlicher Stimmungswechsel eines Entliebten, wie durch ein Sieb fallen Wortspielereien aus dem Hirn und gerinnen zu Tränen.
Ein kokettierendes Lachen entfernt sich, so wie sich plötzlich alles entfernt: die schreienden Möwen, das Grün der Blätter, das Rauschen der Wellen, die künstliche Heiterkeit, du..
Unglaublich, wie schnell sich Clowns entkleiden können und wie Gedanken mit Metaphern spielen, wie festgebrannte Erinnerungen strafend sich auf jeden Ansatz von Wohligkeit legen und unentwegt nur mahnen.
Die Hände starrköpfig in den Taschen stelle ich mich der anbrechenden Nacht.
Und das Frieren beginnt wieder..
Reset the World!
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Also, was Du Dir da aus dem Kreuz geleiert hast, habe ich bestimmt 10 x gelesen. Und je länger ich las und noch weniger verstand, verstand ich mehr.
Ende der siebziger begleitete ich eine Bekannte ( Alkoholikerin ) zur Entziehung in eine Privatklinik nach Athen. Nach 14 Tagen aus dem künstlichen Koma zurück geholt, begann sie zu erzählen. Die Zusammenhänge habe ich auch nicht begriffen, aber nunmehr, nach dem Lesen Deines Textes begreife ich langsam, dass es wohl Denkweisen gibt, die mir verschlossen sind. Ritchi wird so etwas garantiert richtig deuten können, Doofchen Babs steht bei surrealen Texten stets etwas hilflos in der Gegend rum. Aber die dem Text innewohnende sprachliche Melodie, die erkenne ich. Und dadurch ergibt dieser Text für mich ein Erlebnis, was ich aufgrund der damaligen Ereignisse in Athen, für mich persönlich als sehr wichtig empfinde.
Ich danke Dir für diesen Text.
Babsi
Was kostet die Welt - Ich nehm zwei.
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Ein ganz wunderbares Stück Literatur ist das, und da ich per se sowieso und schon immer auf ewig dermaßen einen am Kippschalter habe, übrigens genau wie dieser Ritchi in mir, kann ich den Autor nur zu gut „verstehen“, schließlich rede ich ja auch ganz gerne mal mit meinem Wasserkocher oder nenne mein Notebook zärtlich „Lisa“. Es ist geistreich und unverkrampft geschrieben, hat Flow, und wie so oft in dieser Sprache ist die innere Stimme des Autors wahrzunehmen, das macht gute Literatur aus.
Auch ich danke für diesen Text.
Herzliche Grüße
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Liebe Babs,
ich beschreibe nur meine zeitweise verwirrten Synapsen, wenn man so in den letzten Sonnenstrahlen vor sich hin döst, und das Gehirn selbstständig entscheidet, über was man nachdenkt. Mir gehen dann schon mal skurrile Wortspiele durch den Kopf, die ich meistens vergesse, gemischt mit Erinnerungen und gegenwärtiger Niedergeschlagenheit. Dazu mischt sich das Wahrnehmen der Umgebungsgeräusche ein.
Da sitzt also nur einer auf der Bank und döst vor sich hin, sonst nichts. Da kannst du mal sehen, wie kreativ Fleischbrühe macht. Ich mag dir gar nicht sagen, was ich geschrieben hätte, wenn ich schweren Rotwein getrunken hätte..
Lieber Unkerich,
du verstehst mich. Mitunter wird mancher Text als bizarr angesehen, der doch aus einer ganz gewöhnlichen Situation bestand. In dieser Kolumne kann ich mich ja ganz meinem Sprachverständnis hingeben und meinen Formulierungen, was ich mir ja sonst meistens verkneife, um verständlich herüberzukommen.
Natürlich spreche ich auch mit Gegenständen, meistens verfluche ich sie, weil sie meine Unfähigkeit nicht erkennen und noch dämlicher sind als ich, oder weil sie meinen, sie müssten mir ständig aus der Hand fallen.
Und natürlich steckt in jedem Text auch ein wenig die selbstgewählte Einsamkeit des Autors, das hast du gut erkannt.
Ich danke euch beiden, dass ihr euch die Mühe mit dem Lesen und dem Kommentieren gemacht habt. Es ist doch schön, verstanden zu werden.
Sirius
Reset the World!
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Das ist ein großartiger Text in dem es so vieles zu entdecken gibt!
"Leg dein ganzes Sein in dein geringstes Tun" (Pessoa)
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Fantastisch, wie es dir gelingt, deine wirren Gedanken lesbar zu machen, lieber Sirius! Den Trick musst du mir mal zeigen. Meine verstecken sich immer, sobald ich sie niederschreiben will.
Lieben Gruß
scrabblix
Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.
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Ja, das passiert mir auch, liebe scrabblix, das ich ganz andere Dinge schreibe, als ich eigentlich wollte, weil die ursprünglichen Gedanken einfach weg sind. Und wie meistens schreibe ich beim Schreiben, schalte den Kopf aus und höre auf die Melodie, die aus dem Bauch kommt.
Hab Dank, dass du an den wirren Gedanken Gefallen gefunden hast.
Sirius
Reset the World!
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Lieber Sirius,
auch wenn ich nicht allzu viel davon verstanden habe, so habe ich mich doch sehr gut auf den Text einlassen können und ihn sehr gern gelesen. Interessant, auf wie viele Arten man sich so ausdrücken kann. Einerseits wirkt der Text lustig auf mich und andererseits lese ich eine tiefe Einsamkeit und Traurigkeit heraus. Wie so oft, finde ich mich auch hier an einigen Stellen wieder.
Vielen Dank fürs Mitteilen!
Letreo
Schreiben macht schön.
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Liebe Letreo,
du hast es richtig gesehen. Das Lustige waren nur die Gedanken, die mir kamen beim Dahindösen ohne großes Zutun. Im krassen Gegensatz zu der eigentlich traurigen Situation, wie du ganz richtig erkannt hast.
Und ich liebe es, in unterschiedlichen Stilen zu schreiben und mich auszudrücken.
Ich danke dir herzlich für deinen lieben Kommentar.
Sirius
Reset the World!
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