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RE: Original und Fälschung

#1 von Karl Ludwig , 14.10.2017 18:07

Wer findet die Unterschiede?

Miese Fälschung (von mir gerade verbrochen):

Es sitzt ein Karl im Sonnenschein
er fühlt sich wohl, ist gern allein.
Ein schwarzer Alptraum schleicht sich ran,
Die Wahrheit! Hart und doof! Und dann
ins Hirn hinauf und immer höher,
kommt dem armen Ludwig näher.

Das Karlchen denkt: Weil das so ist
und weil mich doch die Welt anpisst,
so will ich keine Zeit verlieren,
und noch ein wenig komponieren.
Und dichten, so wie nie zuvor.
Der simuliert doch bloß Humor.


Original (W.Busch)

Es sitzt ein Vogel auf dem Leim,
er flattert sehr und kann nicht heim.
Ein schwarzer Kater schleicht herzu,
die Krallen scharf, die Augen gluh.
Am Baum hinauf und immer höher
kommt er dem armen Vogel näher.

Der Vogel denkt: Weil daß so ist
und weil mich doch der Kater frißt,
so will ich keine Zeit verlieren,
will noch ein wenig quinquillieren
und lustig pfeifen wie zuvor.
Der Vogel, scheint mir, hat Humor.


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RE: Original und Fälschung

#2 von Karl Ludwig , 21.10.2017 12:23

Nachtgedanken

Fälschung

Denk ich an Deutschland in der Nacht,
dann bin ich um den Schlaf gebracht.
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
und könnt' vor Wut auf Leute schießen.

Die Jahre kommen und vergeh'n!
Die Scheiße schwappt! Kaum zu versteh'n?
Seit langem bin ich schwer am Bangen;
die braune Brut spielt Menschen fangen.

Mein Zorn und meine Abscheu wächst.
Ich hätte es gerne weggehext,
doch wie's ist, so ist es halt ...
Ach, ich bin schon länger alt.

Die alte Zeit, die war mir lieb,
Als 'Doof' es nur verborgen trieb.
Heute wird mit Scheiß gefüttert,
und der Müll ganz stolz getwittert.

Die Wahrheit gibt kaum rechten Sinn.
(fast) 70 Jahre flossen hin.
70 Jahre sind verflossen.
Es rinnt der Hass in allen Gossen.

Dummheit hat wohl ewigen Bestand,
Sie läuft Amok, hier in unser'm Land.
Mit seinem Pöbel, den ethisch Blinden!
Ich such die Heimat, kann sie nicht finden.

Nach Deutschland lechzt ich nicht so sehr,
wenn ich dort nicht auch geboren wär;
das Vaterland ist am verderben,
weil ewig Gestrige nicht sterben.

Seit ich die Wut da in mir hab,
ich mich stündlich übergab,
wenn ich durch die Zeitung quäle
und die Katastrophen zähle,

juckt es mich, - am Kainsmal;
und das Leben schmeckt brutal
nach braun gefärbten Leichen.
Und, als ob's nicht würde reichen:

Grau durchs Fenster sich erbricht
hemmungslos das Tageslicht;
Aurora, Eos. Guten Morgen
Ave! Ansonsten? Keine Sorgen!


Original (Heinrich Heine)

Denk ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.

Die Jahre kommen und vergehn!
Seit ich die Mutter nicht gesehn,
Zwölf Jahre sind schon hingegangen;
Es wächst mein Sehnen und Verlangen.

Mein Sehnen und Verlangen wächst.
Die alte Frau hat mich behext,
Ich denke immer an die alte,
Die alte Frau, die Gott erhalte!

Die alte Frau hat mich so lieb,
Und in den Briefen, die sie schrieb,
Seh ich, wie ihre Hand gezittert,
Wie tief das Mutterherz erschüttert.

Die Mutter liegt mir stets im Sinn.
Zwölf lange Jahre flossen hin,
Zwölf lange Jahre sind verflossen,
Seit ich sie nicht ans Herz geschlossen.

Deutschland hat ewigen Bestand,
Es ist ein kerngesundes Land,
Mit seinen Eichen, seinen Linden,
Werd' ich es immer wiederfinden.

Nach Deutschland lechzt ich nicht so sehr,
Wenn nicht die Mutter dorten wär;
Das Vaterland wird nie verderben,
Jedoch die alte Frau kann sterben.

Seit ich das Land verlassen hab,
So viele sanken dort ins Grab,
Die ich geliebt -- wenn ich sie zähle,
So will verbluten meine Seele.

Und zählen muß ich -- Mit der Zahl
Schwillt immer höher meine Qual;
Mir ist, als wälzten sich die Leichen,
Auf meine Brust -- Gottlob! Sie weichen!

Gottlob! Durch meine Fenster bricht
Französisch heitres Tageslicht;
Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen
Und lächelt fort die deutschen Sorgen.


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RE: Original und Fälschung

#3 von Jonny , 21.10.2017 18:27

Ganz große Klasse.
Mir gefallen beide Gedichte deiner humorvollen und spitzen Feder.
Hier hast du wieder gezeigt was in dem Karle steckt!

Jonny

 
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RE: Original und Fälschung

#4 von Sirius , 23.10.2017 21:16

Wow, Karl Ludwig! Das ist wirklich große Klasse! Du hältst es bis zum Schluss durch und bleibst auch rhytmisch in der Spur.
Und inhaltlich bin ich ohnehin deiner Meinung! Respekt!

Sirius


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RE: Original und Fälschung

#5 von Karl Ludwig , 26.10.2017 19:52

Original (Robert Gernhardt)

Sonette find ich sowas von beschissen,
so eng, rigide, irgendwie nicht gut;
es macht mich ehrlich richtig krank zu wissen,
daß wer Sonette schreibt. Daß wer den Mut

hat, heute noch so’n dumpfen Scheiß zu bauen;
allein der Fakt, daß so ein Typ das tut,
kann mir in echt den ganzen Tag versauen.
Ich hab da eine Sperre. Und die Wut

darüber, daß so’n abgefuckter Kacker
mich mittels seiner Wichserein blockiert,
schafft in mir Aggressionen auf den Macker.

Ich tick nicht, was das Arschloch motiviert.
Ich tick es echt nicht. Und wills echt nicht wissen:
Ich find Sonette unheimlich beschissen.


Verhunzung der Verhunzung

Sonette, so solltet Ihr doch wissen
ist streng geregelt, sehr resolut!
Da gibt es etliche Finessen!
Robert fand Sonette nicht gut,

rigide, doof und tat sich trau'n
als Stinkstiefel. - Auch ich zeig Mut!
Tu Robert seine Reime klau'n
kräftig schütteln. Das gibt gut

vierzehn Zeilen Rumgegacker.
Keine Jamben, schwer schockiert
wären all die großen Macker.

Ein Ignorant, der ignoriert,
hat meistens keinerlei Gewissen.
Dies Sonett wird niemand missen!


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RE: Original und Fälschung

#6 von Jonny , 26.10.2017 20:39

...Ein Ignorant, der ignoriert,
hat meistens keinerlei Gewissen...

Herrlich, Karle!

 
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RE: Original und Fälschung

#7 von Karl Ludwig , 27.10.2017 12:03

Auf der formalen Ebene ist R.G. sein Gedicht ein Sonett, wenn es auch einige Besonderheiten aufweist. Die Metrik ist die ganze Zeit hindurch ein fünfhebiger Jambus, welches die des klassischen deutschen Sonetts ist. Das Reimschema und die Strophenanordnung hingegen passen nicht zusammen. Das Gedicht besteht aus zwei Quartetten und zwei Terzetten. Das Reimschema aber ist das des Shakespeareschen Sonetts, wahrscheinlich um das Sonett in all seinen Spielformen darzustellen. (Ernst Jaeger)

Tja. Und das mit den fünfhebigen Jambussen, den weiblichen und männlichen Kadenzen, habe ich nie kapiert, vielleicht weil ich eher aus der Musik komme, wo man mit entsprechenden Betonungen und Dehnungen fast jeden Quatsch singen kann. Ich habe es mindestens 1.000 mal erklärt bekommen, etliche Stunden doof vor den Silben gestanden - ich kapiere es einfach nicht. Für mich muss es sich nur halbwegs flüssig anhören, wenn ich es der Wand vorlese.

Vermutlich hat es etwas mit Kunst zu tun.

Ich bin ja kein Künstler. Schnüff.


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RE: Original und Fälschung

#8 von Sirius , 27.10.2017 21:34

Ich verwende immer den dreiarmigen Bambus, aber nur innerhallb bestimmter Karenzen, je nachdem wie fruchtbar die weiblichen sind. Das ist nämlich Stimmungssache und schlägt sich auf die Lyrik aus.
Und dann zähle ich ganz brav wie jeder bekloppte Buchhalter die Silben, aber welche Idioten werden glücklich davon? Es muss flüssig klingen, feucht (ooh) reicht nicht.

Du hats ja so recht, Karl Ludwig!

Sirius


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RE: Original und Fälschung

#9 von Jonny , 28.10.2017 21:00

Besser hätt ich es nicht sagen können, Sirius!

 
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RE: Original und Fälschung

#10 von Karl Ludwig , 08.11.2017 05:46

Der Mistkerl

Winter lässt sein kaltes Band
Wieder flattern durch die Lüfte
Was mich jedes Jahr verblüffte
Wenn ganz weiß mein Heimatland

Ach, die Wälder träumen schon,
wohl von Liebe und von Sonnen.
- Horch, von fern ein klirrend Ton!
Winter, ja du bist's!
Dich hab' ich vernommen!

Er ist's

Frühling lässt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's!
Dich hab' ich vernommen!
E. Mörike


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RE: Original und Fälschung

#11 von Sirius , 08.11.2017 20:14

Karl Ludwig, ja du bists,
dich hab ich vernommen!

Fein hast du den Mistkerl bedichtet und durch den Kakao gezogen.

Sirius


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RE: Original und Fälschung

#12 von Karl Ludwig , 17.06.2018 06:54

Fälschung

Wenn Blätter sich am Baum verbreitern,
die Tage täglich sich erweitern,
wenn Amsel, Drossel, Fink und Meisen
zurück sind von den langen Reisen,
wenn all die Maden, Motten, Mücken,
uns erneut wie toll entzücken,
kribbeln, piksen Dir und mir:
Dann steht der Sommer vor der Tür.

Ich lass ihn stehen! Ich spiel ihm einen Possen!
Ich hab die Tür verriegelt und gut abgeschlossen!
Er kann nicht 'rein! Ich war sehr gewitzt!
Nun steht der Sommer vor der Tür - und schwitzt!


Original (H. Erhardt)

Wenn die Blätter von den Bäumen stürzen,
die Tage täglich sich verkürzen,
wenn Amsel, Drossel, Fink und Meisen
die Koffer packen und verreisen,
wenn all die Maden, Motten, Mücken,
die wir versäumten zu zerdrücken,
von selber sterben - so glaubt mir:
es steht der Winter vor der Tür!

Ich lass ihn stehen! Ich spiel ihm einen Possen!
Ich hab die Tür verriegelt und gut abgeschlossen!
Er kann nicht 'rein! Ich hab ihn angeschmiert!
Nun steht der Winter vor der Tür - und friert!


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RE: Original und Fälschung

#13 von Jonny , 17.06.2018 08:00

Du hast es gut.
Ich kann den Sommer nicht austricksen, er wartet draußen auf mich.
Sein Lehrling hat mir schon die Waden versengt - fast zwei Wochen Sonnenbrand.
Und der Meister hechelt schon in den Startlöchern...
Hast du fein gemacht, Karle - eine gelungene Verdichtung!

Jonny

 
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RE: Original und Fälschung

#14 von Sirius , 18.06.2018 21:10

Ein Meisterwerk! Du hast ja kaum zwei Worte verändert und doch kam ein völlig anderes Thema dabei raus.
Das ist halt die Minimalkunst der Maximum-Künstler.
Auf jeden Fall ist es gelungen und man weiß gar nicht, welches Gedicht zuerst da war.

Sirius


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RE: Original und Fälschung

#15 von Karl Ludwig , 27.03.2019 11:31

Lob dem Amoklauf. (Echte Fälschung von Karl-L.)

Der Amoklauf hat viel für sich.
Gesetzt den Fall ich öde mich,
so lease ich mir billig Sinn,
weil ich ziemlich dämlich bin.

Zum zweiten sind die meisten Leut
genau so Scheiße wie ich heut!
So mit ohne ein Gewissen
will ich Hass und Tod auspissen.

Und viertens hoff' ich außerdem
auf Wahrnehmung, die mir genehm.
So kommt dann ganz zuletzt bei rum:

Schlagzeilen! Nachahmer! Noch mehr Dumm!


Kritik des Herzens. (Echtes Original von W. Busch)

Die Selbstkritik hat viel für sich.
Gesetzt den Fall, ich tadle mich,
So hab' ich erstens den Gewinn,
Daß ich so hübsch bescheiden bin;

Zum zweiten denken sich die Leut,
Der Mann ist lauter Redlichkeit;
Auch schnapp' ich drittens diesen Bissen
Vorweg den andern Kritiküssen;

Und viertens hoff' ich außerdem
Auf Widerspruch, der mir genehm.
So kommt es denn zuletzt heraus,
Daß ich ein ganz famoses Haus.


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