Annie Ernaux erinnert sich an einen Sommer von Gewalt und Erniedrigung
In dem Buch «Erinnerung eines Mädchens» schreibt die französische Schriftstellerin über erste sexuelle Erfahrungen: Sie zerstörten mehr als nur die sehnsuchtsvollen Erwartungen einer jungen Frau.
Wenn die Literatur Erinnerung ist, dann vergisst sie auch nicht, woher man kommt. Marcel Proust konnte für seine literarische Soziologie in den Wachträumen des Grossbürgertums wandeln, während Annie Ernaux einen Ausgang aus den Albträumen des Kleinbürgertums sucht. Geboren 1940 in einer Kleinstadt in der Normandie, ist Ernaux gerade die Sensation der französischen Literatur. Zumindest für die deutschsprachigen Leser, die sie mit einiger zeitlicher Verzögerung entdecken können.
Im Vorjahr ist «Die Jahre» erschienen, eine Chronik Frankreichs als verstörend genaue Autobiografie. Dieses Buch ist ein literarisches Erdbeben und zugleich die Seismografie eines Jahrhunderts. In ihrem jetzt übersetzten Buch «Erinnerung eines Mädchens» geht Annie Ernaux noch einen Schritt weiter. Und das, indem sie die Szene radikal verkleinert und noch schonungsloser über ihr Ich nachdenkt. Es geht um zwei, drei Jahre. Um eine Gymnasiastin, die noch Duchesne heisst und die dann als junge Frau einen gewissen Philippe Ernaux heiraten wird.
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