Kleine Liebeserklärung an das Gedicht
Gedichte sind seltsam unbeliebt. Sie sind ja keine Romane. Gedichte sind klein. Aber oho. Das finden freilich nicht viele, fragen Sie sich mal selbst. Die meisten finden Gedichte offenbar igitt; als säßen sie immer noch in der Schule und müssten bis übermorgen die ganze Latte auswendig lernen. Dabei sind Gedichte kleine Überraschungseier. Sie sind aha. Zwar sieht man ihnen schon von Weitem das Leckere an, weiß aber ja nicht wirklich, was drin ist und ob das für einen das Richtige ist. Sie sind nicht jedermanns und jederfrau Sache. Wäre ja wirklich auch noch schöner. Aber vielleicht auch nicht, würde man ja eh nicht glauben.
Gedichte sehen harmlos aus. Sind sie aber nicht. Und das nicht, weil einige von ihnen Kirchenlieder, Nationalhymnen oder Marschtexte sein oder werden können. Nein, sondern weil selbst die lieblichsten, ja bescheidensten unter ihnen unbedingt gelesen werden wollen. Sie haben sich extra ihr Reimkostüm an- oder ausgezogen, drängen sich an deine Schulter und möchten umarmt, also wenigstens gelesen werden. Dann schau mer mal.
Und sag nicht, Du hast grad keine Zeit. Es zu lesen dauert nicht länger als ein Whisky. Es zu begreifen, nicht länger als ein Achtel Riesling; es wirklich zu begreifen, einen Schluck (also gleich) oder eine Flasche (also gar nicht oder nie, weil du – leider gibt es das – zu blöd für Sprache bist). Im Übrigen dauert das Gedicht nicht beim Lesen und Begreifen, sondern hinterher, danach. Das Gedicht hat so etwas Einprägliches, nicht unbedingt das ganze, aber diese Wendung oder jenes Bild. Oder eben das, was die in einem angerichtet haben, die sogenannte Empfindung, das Wettergefühl, der Ausblick, der Einblick und die Einsicht, die schmerzhafte Erinnerung. Ja, Gedichte können auch Aua! sein.
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