Vorruf

Nichts soll man von mir wissen.
Wo ich geliebt, gelitten und vermisst.
Nicht wo das letzte Grablicht ist,
Nicht, wo ich schlief auf welchem Kissen.

Kein Klingelknopf, kein Kind und kein Papier.
Kein Koffer, kein Foto und kein Ding.
Kein Hemd, kein Brief, kein Ring.
Kein Zeichen mehr von mir.

Nichts soll von mir mehr bleiben,
Denn alles war von dir.

Ich kenne ein paar solcher Menschen, leider oft genug Frauen, früh geheiratet, nie eigenes Geld gehabt, eigene Interessen, nur den gemeinsamen Freundeskreis, nur die gemeinsamen Kinder, selten eine eigene Meinung, die haben sich dem LIEBEN EHEMANN komplett und vollständig ausgeliefert. In einem Fall steht sogar nur der Name des Familienvaters auf dem Klingelschild. Manche geben ihre Individualität zu gerne komplett her. Ist ja auch irgendwie einfacher. Bis, ja, bis der LIEBE EHEMANN SEINE Indivualität woanders auslebt. Echt gruselig.

So KÖNNTE man das Gedicht lesen. Man könnte aber auch diese bitteren lebenslangen Abhängigkeispaare hineinlegen: Vater - Sohn / Kapital - Individuum / Arbeitgeber - Arbeitnehmer. Oder einfach nur: der Verlassene stellt erschüttert fest, daß die ehemals Geliebte noch ist in allen Dingen, auch wenn sie jetzt fort ist:

Zitat von Sirius im Beitrag #91

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Denn alles war von dir.

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Nein, selbst den Tod hat man nicht für sich allein, wenn es so läuft: Man wird als syrischer Söldner in Libyen durch eines andern Hand mit weiteren Söldnern gleichzeitig erschossen, fährt gemeinsam in den Himmel auf und dort warten - genau - 72 Frauen. Jungfrauen. Hmmm.

Jörn

Also rein inhaltlich trifft überhaupt nichts auf mich zu. Ich hab es nur geschrieben, weil mir nichts anderes einfiel, und ich brauchte einen Text für heute. Dann schmeiße ich irgendwelche Sätze in den Raum wie “Nebel liegt wie Bratkartoffeln überm Land“ oder „Nichts soll man von mir wissen“ - und wenn ich Glück hab, fallen mir dann weitere Sätze ein. Manches ist halt nur zeitliche Notwehr, nichts autobiographisches. Das Gedicht ist einfach zu radikal, um wahr zu sein.
Dein umfassender Kommentar war sehr spannend, auch der Buchtipp hat mir sehr gefallen. Und das mit den 72 Jungfrauen ist wohl das Dämlichste, was man einem Idioten erzählen kann, aber es funktioniert offensichtlich.

Ich danke dir sehr, dass du dich mit den Zeilen beschäftigt hast, weegee. Das hätte ich auch mal machen sollen.

Sirius

Jaaaaaaaaa - das ist ja das Tolle! Wenn man mal den Kopp ausschaltet und einfach nur macht, entstehen manchmal die sinnreichsten Dinge (und Texte). Wenn man US-Präsident ist, nicht. Also, für MICH macht das Gedicht sehr Sinn und hat in dieser Rubrik nichts verloren.

Ich kenn einen Song (NOFX), da geht es darum, dass die DA UNTEN den ganzen Mist nur verzapfen, weil sie an die 72 Jungfrauen wollen. Eine friedenssichernde Maßnahme wäre, statt Truppen 100.000 Nutten fürs Diesseits NACH DA UNTEN zu schicken.

Zitat von Sirius im Beitrag #94

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Dann schmeiße ich irgendwelche Sätze in den Raum ... - und wenn ich Glück hab, fallen mir dann weitere Sätze ein

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Diese Rubrik ist köstlich, lieber Sirius und die Gedichte dazu noch viel mehr.

Ein letztes Aufmucken

Eine Frau am Bügeltische
denkt sich, ja, wo bleibt die Frische
meiner Wäsche wie versprochen,
hab noch nicht an ihr gerochen!

Doch sie riecht recht seifenmuffig
ganz und gar nicht wolkenfluffig.
So kommt ihr mit einem Mal
das Leben vor wie eine Qual.

Ich danke dir für deinen lieben Kommentar und für deinen humorvollen Beitrag, liebes Frollein!

Sirius

Ich bin ein braver Gesell.
Ich bin der frömmsten einer, gell.
Bin züchtig, brav und edel,
gar griechisch ist mein Schädel
und römisch mein Profil.
Nur Eigenlob ist etwas viel.

Sie tat so gerne föhnen,
der Nachbar aber stöhnen.
Ihr Föhn war nicht entstört,
der Nachbar sehr empört.

Und so begab es sich,
dass dieser Nachbar schlich
in ihre Wohnung rein,
am Tag bei Sonnenschein.

In beiden Händen eine Schlinge
für den weiteren Verlauf der Dinge.
Er kam auf keinen Fall zum Klönen.
Sie hörte nichts, sie war beim Föhnen.

Abseits aller guten Dinge,
die nicht immer drei sind, wie man weiß,
harren oft die Widerlinge,
manchmal mitten auf dem Gleis.

Lachen oft und höhnen
über Missgeschicke der Natur.
Sind doch selber meist Hyänen,
und moralisch fehlt Kontur.

Aber strafen wir nicht lyrisch
jene mit Missachtung,
die vor lauter Physis
harren der Umnachtung.

Ganz verzwickt bleibt die Geschichte,
schnell erzählt hier im Gedichte:
Eigentlich war nichts geschehen,
niemand hat auch nichts gesehen,
auch zu hören war kaum was,
man erzählte dies und das.

Trotzdem weiß man, wie das läuft:
Irgendeiner säuft
und erzählt dann ein Gerücht,
ein zweiter – nicht ganz dicht -
macht daraus ein Gedicht.

Zitat von Sirius im Beitrag #102

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Trotzdem weiß man, wie das läuft:
Irgendeiner säuft
und erzählt dann ein Gerücht,
ein zweiter – nicht ganz dicht -
macht daraus ein Gedicht.

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Stimmt, weegee! Wobei ich nicht besoffen war..Ich schreibe auch nüchtern Mist.
Herzlichen Dank dir!

Sirius

Es war Montag oder Mai.
August war jedenfalls vorbei.
Kann auch Dienstag im April
oder Sonntag, wenn ich will.
Welcher Tag ist nicht ganz klar.
Nur auf jeden Fall: Es war.