Gift
Die Welt ist zu einem friedlosen Ort geworden. Das hat man an Weihnachten auch in den Familien gemerkt.
Im Anfang war das Wort, hieß es am 1. Weihnachtsfeiertag im Johannesevangelium. Tatsächlich war dieses Weihnachten ganz oft im Anfang das Wort – es war nur nicht unbedingt bei Gott. Da sagte die eine Schwester, nennen wir sie Maria, zur anderen, Marta, auf deren Frage, wo sie denn wieder gewesen sei, so dass sie erst am Nachmittag des 24. Dezember zur Familie habe stoßen können: „Ägypten“, und dann gab dies eine Wort das andere: Ob sie denn als studierte Politologin, immerhin mit Vordiplom, auch eine Meinung habe zu dem Regime in Ägypten. Und dass es anstelle des Gutscheins für eine Beauty-Behandlung ein sinnvolles Weihnachtsgeschenk gewesen wäre, wenn sie auch einmal die Mutter gepflegt hätte, wenigstens einen Tag, sagte Marta. Maria erwiderte, dass es nicht sein könne, dass man in diesem angeblich so hochentwickelten Land die Pflege von Angehörigen auf den Einzelnen abwälze, das sei ein strukturelles Problem, das die Politik lösen müsse. Im Übrigen glaube sie, dass sie im Tauchurlaub in Scharm al Scheich mehr für die Ägypter tun könne als am Herd in Paderborn.
Die Welt ist bekanntlich zu einem unwirtlichen Ort geworden, in dem Menschen für ihre Charakterlosigkeit nicht verachtet, sondern in höchste Staatsämter gewählt werden. Für Weihnachten hätte das bedeuten können: zusammenrücken gegen das feindliche Draußen, das alte Haus der Eltern für ein paar Tage als Wagenburg aus Wolldecken betrachten, in dem man sich mit der vom Christkind gebrachten Taschenlampe orientiert. Aber jedes Haus hat einen Kamin, und durch den kam nicht nur der Weihnachtsmann, sondern auch das Gift, das Trump und Konsorten seit Jahren in die Staatenfamilie träufeln und von dem es zu Recht heißt, dass es auch wirkliche Familien zersetze.
Die Dramatikerin Sarah Kane hat einst in ihrem Stück „Zerbombt“ gezeigt, wie der Krieg in der Welt zum Krieg im Privaten wird. Für großkalibrige Waffen sind Häuser oder gar Wohnungen eher ungeeignet. Dafür konnte man sich für die Festtage von der Politik subtilere Methoden für die Kammerkriegführung abschauen: Von Putin lernen hieß ein Geschenk aufreißen, auf dem der Name eines anderen stand, und dann triumphierend rufen, das habe man immer schon haben wollen. Die anderen Familienmitglieder, die merkten, dass hier etwas falsch lief, schwiegen, aus Angst vor dem großen Eklat. Um ihrem Unmut trotzdem Luft zu machen, aßen sie die Plätzchen des anderen nicht mehr und suhlten sich in dem Gefühl, Opfer zu sein, wie sie es von der AfD gelernt haben.
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