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Zwischen zwei und vier Promille

#1 von Karl Ludwig , 09.01.2020 07:24

Ob Du nun Methan atmest, 20 Arme hast, oder auf dem Grund eines radioaktiven Radon-Meeres lebst und Dich von Krypton ernährst, für jede Lebensform im Universum gibt es einen Ort, wo sich die Verlierer treffen. Dort führen sie Gespräche mit anderen Lebewesen in der prä- oder postmortalen Phase, IstDochEgal, die nicht zuhören, weil diese ausschließlich mit ihren eigenen Schmerzen kommunizieren. Meistens steckt ja eine Frau dahinter, entweder weil es da eine gibt, oder keine, oder gab, - oder keine.

Hier sagt niemand zum Anderen: „Sieh es einmal positiv, vielleicht kommt es ja gar nicht dazu.“, denn es ist schon längst dazu gekommen. Es wird auch auf Bemerkungen verzichtet, wie: „Siehe es mal von der positiven Seite.“, denn es gibt keine.

Meistens heißen solche Orte für Leute, die von der Rennstrecke des Lebens in die Boxen gewunken wurden: 'Zum fröhlichen WasAuchImmer' und erweisen sich als deprimierende Beispiele für die Natur des Seins: „Nix wie weg hier!“. Sie liegen hinter dem Güterbahnhof, oder gut versteckt neben den Lavaquellen, wo keine anständigen Kraken verkehren würden.

In Bielefeld, einer Stadt, die allen anderslautenden Gerüchten zuwider, tatsächlich existiert, wenn auch nur gerade mal eben so, liegt dieses Hirn Krematorium an der langen Straße, und ja, dort verkehren auch 20-armige Kraken, Gullimumpfen, Schnabeltiere, 2D-Elefanten, Sternschildkröten und andere Eingeborene, meine Running Gags, im Moment eher Taumeling & Lalling Gags.

Der Wirt selber ist ein fröhlicher, stiller Mann, von dem nur verlangt wird, dass er die Gläser füllt. Er hatte mal Psychologie studiert, bis er kapierte, mit welcher Angst vor dem Leben, wahlweise vor dem Tod, die meisten Leute verflucht sind.

„ … geschieht ihr ganz Recht, wenn ich mit Alkoholvergiftung ins Krankenhaus muss.“

„ … das war die Frau meines Lebens. Ich fand sie endlich … doch sie fand mich nicht.“

„ … was hat Heinz bloß richtiger gemacht, als ich. Und diese blöde Kuh springt auch noch darauf an.“

„ … seit ich meinen Job verlor, bloß weil im Schreibtisch alle Schubladen mit leeren Flaschen … “

„ … wieschoh is main Deggel gesch …, geschperrt?“

„ … nur vier Monate lang keine Miete zusammengekratzt bekommen und schon die Kündigung.“

„ … die sieben häufigsten Worte in der Kneipe: Flur is? (Wie viel Uhr ist es?) Haha, Schlange? (Schon lange hier?) und …, äh, und … äh …, und … äh, Schluchts.“

„ … ausgerechnet mein bester Freund. Wenn ich denn einen hätte.“

„ … ich soll erst wieder kommen, wenn ich nüchtern bin. Sie liebt mich nicht!“

„ … ein leeres Glas ist hässlicher anzuschauen als meine Frau nach dem Besuch eines Beauty-Saloons.“

„ … und wer soll jetzt abwaschen? Meine Bude ist verdreckt und diese Schlampe verlässt mich … “

„ … die Schnapssteuer ist höher als die trinkbaren Prozente.“

„Aus mir hätte ein Kaiser werden können. Mit nur anderen Eltern. Playboy ging auch nicht, weil ich keine mittlere Reife besitze.“

„ … könnte man den verständnislos grinsenden Wirt nicht durch eine hübsche, unbekümmerte Go-go Tante ersetzen? Etwas Unbekümmertheit würde mich aufmuntern …, ach nee, besser nicht. Unbekümmertheit macht mich meistens traurig. Ist ja doch bloß inverser Kummer. Also gelogen.“

„Je weiter unten du anfängst, um so mehr Möglichkeiten stehen dir offen. Bitte siezen Sie mich!“

Ja, so geht es nicht nur in Bielefeld in der Langen Straße zu. 'Lange Straße' wegen dem einheimischen Humor: Sie ist die kürzeste Gasse im übel beleumundetem Bahnhofsviertel. Wo treffen sich denn in Eurer Stadt all diejenigen, welche unter der Hühnerleiter hocken? Ich muss mal verreisen. Ich war nämlich derjenige mit: „ … wieschoh is main Deggel gesch …, geschperrt?“


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RE: Zwischen zwei und vier Promille

#2 von Sirius , 09.01.2020 20:11

Also, ich bin für meinen Bezirk momentan total überfragt, wo hier denn die Anlaufstelle, vergleichbar mit der berühmten „Langen Straße“ in Bielefeld (?) ist.
Ehrlich gesagt, habe ich eher den Verdacht, dass die „Stadt“, in der ich derzeitig lebe, komplett der Langen Straße gleicht und ich somit niemanden den auch nur minutenlangen Aufenthalt empfehlen kann. Zudem ist es schwierig, ohne geeigneten eigenen fahrbaren Untersatz, die Stadt wieder zu verlassen, weil der öffentliche Nahverkehr einfach nicht mit dem Postkutschenbetrieb konkurrieren kann.

Man trifft sich auch nicht, das wäre viel zu umständlich, man wird einfach unterwegs festgenommen und, wenn erwünscht, zusammengeschlagen, dann auf dem Bauhof, zwecks weiterer Entsorgung abgegeben.
Vorformulierte Anfragen wie „Äh.. -“ (Maul halten!) werden nicht entgegengenommen und gelten als Widerstand. Somit ist es mir auch nie gelungen, zu einer Kneipe deiner charakterlichen Bauart zu gelangen, deren Existenz auch nur vom Hörensagen aus früheren Zeiten bekannt ist.

Frauen, die auf deine geistreichen Zitate reagieren würden, gibt es hier nur in den Aussenbezirken, und du musst sie erst bei drei haarsträubenden Strategiespielen besiegen, bevor sie einen Tee mit dir trinken oder noch schlimmeres. Und: Das Wort „bügeln“ darfst du nicht verwenden!
Ich denke also, mit deinen Gullimumpfen, Schnabeltieren und sonstigen sympathischen Begleitern bist du noch gut bedient.
In deinem und im Interesse aller Unschuldigen will ich die Stadt nicht nennen, aber die letzte Silbe ist „..heim“. Und wer will schon ins Heim?

Danke, Karl-Ludwig, für deinen sehr humorigen Beitrag!


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RE: Zwischen zwei und vier Promille

#3 von weegee , 09.01.2020 21:30

Das ist lustig, Karl Ludwig. Wir haben auch solche Kneipen hier in Hildesheim (das ist nicht das ...heim des Sirius!) Nee, Kneipen sind das nicht. Das sind BIERSCHWEMMEN, die heißen dann SÜDKLAUSE oder NORDSTADTSTÜBCHEN. Und man sieht von außen immer die gleichen traurigen Gestalten. Alles Opfer. Und vormittags und mittags und abends wabert durch die Türritzen der immergleiche, ewige, konstant miefige Mief von Bier, Schnaps, Kippenqualm (Zutritt unter 18 Jahren verboten!), großer Herzen, kleiner Seelen. Angst habe ich vor den Frauen, die da mit rumsitzen.

Dann lieber allein an der frischen Luft eine kleine Tüte durchziehen. Und nur die Vöglein und Bambi lauschen großäugig und andächtig dem Gejammer des einsamen Kiffers.

Aberdein Text ist lustig, Karl Ludwig.

LG, Jörn


Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)

 
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RE: Zwischen zwei und vier Promille

#4 von Karl Ludwig , 10.01.2020 08:36

Zitat Weegee: Angst habe ich vor den Frauen, die da mit rumsitzen.

Vielleicht wurde ich ja deswegen vorhin dazu berufen, diesen 'FrauenInDerKneipe' einen Beitrag zu widmen, weil ich nie in einer Kaschemme namens 'Südklause' oder 'Nordstadtstübchen' verkehrte. Hier in Burgdorf haben wir bloß einen 'Bei Peter' und dort bestellte ich mir bislang kein Bier. Ein 'WasWeißIchStübchen' soll es auch geben, doch das ist noch nicht einmal im Telefonbuch verzeichnet. Sehr bezeichnend, wie ich finde.

(Die Kneipen und Frauen, welche ich hier schriftlich a Capella besinge, befanden/-finden sich teils in Burgdorf, teils in Bielefeld. Ist doch O.K.? Immerhin lasse ich die Frauen und Kneipen in der Türkei außen vor.)

Natürlich weiß ich auch um diese schrecklichen FettKlopsTanten, denen die Arschbacken rechts und links des Hockers kilometerweit bis zum Boden abhängen. In Jogginghosen! Davon kannte ich mal so ein bis anderthalb. Die eine war die Frau vom Wirt und bewegte sich in Zeitlupe, die (noch) halbe war ihre Tochter.

Nehmen wir aber eine erfreulichere Gestalt: 'MarianneNameGeändert'. Sie kam aus der Provinz, ausgerechnet nach Bielefeld, kellnerte in meiner Stammkneipe und glaubte tatsächlich einen großen Teil der Blähsprüche aus evidentem Testosteron, denn sie war umwerfend naiv. So naiv wie auch hübsch.

Leider blieb sie nicht sehr lange so naiv, – dafür war sie zu intelligent. Doch dieser Job kontrastierte zu ihrem Studium. Also ging sie irgendwann nicht mehr zur Uni. Meine Stammkneipe wurde ihr Wohnzimmer. Wir spielten Schach, warfen mit Dartpfeilen (die echten und nicht diese lächerlichen mit Plastikspitze), zogen ums Eck und dabei Einen durch, tranken mehr Kaffee (umsonst) als Alkohol und freuten uns ganz schlicht über die Tatsache, völlig verantwortungslos zu leben, zu sein, zu lachen. Ja, und so ein bisschen Vögeln war auch mit enthalten, falls da wer eine naheliegende Vermutung anstellen sollte. Möglicher Weise waren wir sogar etwas verliebt. Aufblühen nennt man das wohl im Expertenmilieu. Sie kam auch ziemlich schnell dahinter, was von den Balzgeschleime der 'MännerImSuff' zu halten ist. Aber sie genoss dieses ständige Umworben-sein dennoch.

Dann traf sie eine Wahl. Leider die verkehrte. Gleich mit Hochzeit und allem Pipapo. Ihr Göttergatte nahm es zum Anlass, nun keine Zurückhaltung mehr zu üben – er hatte sich ja die schönste Frau der Kneipe gegriffen, also soff er rund um die Uhr, bis sie sich anderweitig orientierte und scheiden ließ, woraufhin er einem behandlungsbedürftigen, monatelangen Abusus-Delirium verfiel. Später zog sie aufs Land, schnitzte aus Baumwurzeln komische Figuren und stellte Ziegenkäse her.

Was soll man gegen so eine Frau vorbringen. Klar hatte sie nicht alles richtig gemacht, - aber das war auch richtig so.

Oder 'AnneNameNichtGeändert' (Wegen dem wahren Wortspiel). Nachdem sie festgestellt hatte, dass Männer, besonders die besoffenen, immer nur das Eine wollen und dabei erschreckend einfallslos vorgehen (Was für eine Erkenntnis!), nahm sie sich einen Typen aus Jamaika, der eine Aufenthaltserlaubnis durch Heirat mit einer Eingeborenen anstrebte. Bald nannten wir sie heimlich 'Anne Fresse', weil sie ständig Haue bezog.

Gelegentlich verkehrten in meiner Stammkneipe Halbweltfiguren aus dem Nachtclub von nebenan, welche vorübergehend ein anderes Ambiente benötigten als plüschig-rosa-Klebrigkeit, und die nicht als Nutten und Zuhälter erkannt werden wollten, sich aber durch ordinäres Benimm sofort verrieten. Eine von diesen Damen zockte mir bei einem Pokerspiel 50,00 DM (das war damals viel Geld) aus der Tasche. War ein übler Trick gewest für einen Blödmann, so mit spiegelndem Feuerzeug neben der Zigarettenpackung auf dem Tisch, wie mir ihr Zuhälter einige Monate später verriet. Wer weiß schon, wofür es gut war.

Und die Mütter mit Kleinkind. Für die gab es sogar einen extra Kinderhochstuhl, damit das Blag auch einen guten Blick durch den Qualm und Alkoholdunst auf die Krone der Schöpfung werfen konnte. Das war lange bevor Passivrauchen gefährlich wurde.

Eines Tages stand 'PetraNameGanzAnders', ein kleines harmlos verwirrtes Mädchen in der Küche von der Studentenkneipe 'Unikum' und fing ungefragt an, das Geschirr abzuspülen. Nach einigen Tagen sprang sie schon als Kellnerin ein, wenn es eng wurde. Dann durfte sie an den Zapfhahn. Dann wurde sie Geschäftsführerin. Dann übernahm sie den Laden. Zum Schluss betrieb sie vier Kneipen (Bielefeld hat eine Uni). Dann wurde sie ihr bester Gast und brachte sich mit 52 Jahren aus Liebeskummer um.

Eine kam im Rollstuhl und durchsichtiger Bluse unter dem offenen Lederjackett. Mann, die hatte wirklich hübsche Dinger. ('Hübsche Dinger Gucken' ist eine seht populärer Sportart bei nicht nur mir. Kommt ballmäßig weit vor 'SportschauGucken'.)

Da gab es noch die Nora. Die konnte jeden, und für die Rechnung der dafür benötigten Getränke, unter den Tisch saufen. Gleich mehrmals am Abend. Wir vermuteten eine Mutation. Bestimmt hat die nichts dagegen, hier beim Klarnamen genannt zu werden.

(Vielleicht folgt eine weitere Folge von 'Frauen in der Kneipe'. Ich kannte sogar mal eine, die sich tatsächlich, so wie diese Lola in dem Lindenbergsong, nach 1,2 Promille anfing auszuziehen. Das wurde aber immer vom Wirt verhindert, so ein Schuft. Äh, das war ich ja selber. Dann also: So ein diskreter Anstandswauwau.)

Fußnote: Die vielen Gucker bin ich selber, da ich online schreibe. In Time. Live. Ich schreibe gerne direkt ins Forum (parallel dazu habe ich allerdings ein Schreibprogramm offen), da ich unter anderem für die anderen, ja für Euch, schreibe, brauche ich dieses Gefühl, dass gerade jemand mitliest. Komisch finde ich das schon.


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