Introvertierte
Null Bock auf Menschen
Angesichts von Corona interessieren sich Psychologen vermehrt für Introvertierte: Sind die "Drinnis" wirklich besser gewappnet für die Zeit der Kontaktreduktion?
Von Magnus Klaue
Auf jádu, dem Onlinemagazin des Prager Goethe-Instituts, hat die Journalistin Sylvia Lundschien im Mai unter dem Titel Quiet is the new loud eine Variation des Gassenhauers "Die Krise als Chance" veröffentlicht. Für "Menschen wie mich", gestand sie im Ton routinierter Vertraulichkeit, habe mit dem Corona-Lockdown "eine fast gute Zeit" begonnen. Sie sei nämlich ein "Intro" oder "Drinni", zähle also zur Gruppe der Introvertierten, der Gerüchten zufolge auch "Naturwissenschaftlerin und Bundeskanzlerin" Angela Merkel angehöre.
Unter Berufung auf Carl Gustav Jung bestimmt die Autorin Introversion als die Neigung, "schnell in großen Gruppen" zu ermüden, während Extrovertierte um sich herum "Trubel, Lautstärke" und "viele Menschen" brauchten. Obwohl Schätzungen zufolge bis zu 50 Prozent der Weltbevölkerung zur Introversion neigten, sei Extraversion in westlichen Kulturen "so etwas wie der soziale Goldstandard". Vor der Gesundheitskrise habe Introversion in der von lärmig-bunten Selbstdarstellern dominierten Öffentlichkeit als "seltsame Abweichung" gegolten; seit das "Getöse der Welt" stillstehe, bewähre sie sich als die Fähigkeit, "sich in Dinge richtig zu vertiefen". Dass die Möglichkeit, dieses Talent zu entwickeln, von einem Wohlbefinden abhängen könnte, mit dem es unter Corona schlecht bestellt ist, kommt ihr nicht in den Sinn.
Mit der Überzeugung, dass die Verwandlung des Alltags in ein zwangsentschleunigtes Freiluftsanatorium gerade für Zartbesaitete Vorteile mit sich bringe, ist Lundschien nicht allein. Fast die gesamte Tagespresse teilt diesen Optimismus: "In der Corona-Krise schlägt die Stunde der Introvertierten" (Morgenpost) – "Introvertierte kommen besser durch die Krise" (Borkener Zeitung) – "Jetzt schlägt die Stunde der Introvertierten" (FAZ) – "Diese Krise ist eine Chance für die leisen, introvertierten, sachorientierten Führungskräfte" (manager magazin).
Weiterlesen:
https://www.zeit.de/kultur/2020-06/intro...beschraenkungen
Reset the World!
Beiträge: | 27.291 |
Registriert am: | 02.11.2015 |
Ein eigenes Forum erstellen |