Wenn Freiheit sich selbst zerstört
Liberalismus verkommt zu einem Machterhaltungsmittel für die Mächtigen. Wenn sich daran nichts ändert, wird Freiheit bald nicht mehr begeistern, dann wird sie vor allem gefürchtet.
Sehnsucht? Sehnsucht danach, in die Masse einzutauchen und von Freiheit zu singen? Inmitten der zweiten Pandemie-Welle, eines Winters der Vereinzelung und der erzwungenen Einschränkungen erscheinen die Bilder des Konzerts unwirklich. Je freier, desto besser: Das ist die Formel, die in westlichen Gesellschaften überwältigende Zustimmung findet. Oder, mit dem Mitte-der-Gesellschaft-Barden Westernhagen gesprochen: "Freiheit ist das Einzige, was zählt."
Einerseits.
Andererseits beweist die Pandemie, dass größtmögliche Freiheit und Liberalismus nicht immer die Lösung sind. Dass es für den Einzelnen Einschränkungen braucht, um die Vielen zu schützen.
Dabei hätte es gar keine Pandemie gebraucht, um zu erkennen, dass der Liberalismus nicht zu Ende gedacht ist. Das wird er nie sein. Freiheit ist kein Zustand, der sich feststellen und dann sichern lässt. Sondern "ein Fundament, das nicht fundiert ist", wie die Philosophin Ágnes Heller schrieb. Die Bedingungen für Freiheit müssen ständig neu verhandelt werden. Es tut not, sich um den Liberalismus zu kümmern, ihn nicht als selbstverständlich zu nehmen, ihn besser zu machen, wehrhafter.
Von Trump bis Xi Jinping, von Orbán bis Erdoğan, von der AfD bis zu den Identitären: Das sind mehr als bloße Anomalien, die wieder von selbst verschwinden. Die autoritären Rechten bekämpfen den westlichen Liberalismus als ihren Hauptfeind. Im rhetorisch radikalen, undifferenzierten und angstmacherischen Getöse um Flüchtlingspolitik, eingebildete Überfremdung oder den Islam geht manchmal unter, dass es im Grunde die Freiheit ist, die die Rechten angreifen.
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https://www.sueddeutsche.de/politik/frei...ismus-1.5129772
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