Maggie Nelson: Freiheit
Philosophische Essayistik
Unter hohen Himmeln
Von Sex, Kunst, Drogen und Klima: Maggie Nelson denkt über die Idee der Freiheit nach.
MEIKE FESSMANN
Wir stolpern von Krise zu Krise, ein Schrecknis jagt das andere, die Rhetorik der Überbietung läuft auf Hochtouren. Von Zeitenwandel und Weltenwandel ist die Rede, der Ausdruck Paradigmenwechsel taugt nicht mehr. Und zwar nicht erst seit dem 24. Februar. Auch ohne die Grausamkeit des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine nivellieren zu wollen, kann man auf die Idee kommen, dass mit unserer Vorstellung von dem, was die Welt ausmacht, etwas nicht stimmt.
Maggie Nelson hat ihr neuestes Buch zu Beginn der Trump-Ära angefangen und mitten in der Pandemie beendet, während sie Fenster und Türen gegen den Rauch der Waldbrände abdichtete. Sie ist sich bewusst, wie stark die Zeitumstände bei allem mitsprechen, was sie zu formulieren versucht. Und sie reflektiert immer wieder die Situation, in der sie schreibt, erst recht in Kontexten, die sich vom ersten Entwurf bis zum faktischen Abschluss des Buches nach vier Jahren Arbeit gewandelt haben.
[Maggie Nelson: Freiheit. Vier Variationen über Zuwendung und Zwang. Aus dem Englischen von Cornelius Reiber. Hanser Berlin, München 2022. 400 Seiten, 26 €.]
Die 1973 geborene Kalifornierin ist eine eigenwillige Denkerin. Im Grenzbereich zwischen Dichtung, Kritik, Essayistik, Literatur und Theorie mischt sie nicht nur die Genres. Sie bringt auch den subjektiven Faktor ins Spiel. Manchmal kann die Denkerinnenpose auch ärgerlich werden, dann nämlich, wenn nur noch das Denken selbst vorgeführt wird und die Inhalte ins Uferlose driften. Aber meistens ist Maggie Nelsons Gedanken-Surfen ergiebig. Ihr wacher Geist fängt die Dinge im Flug, sie hat eine gute Intuition für die wunden Stellen von Begriffen. Und ihr fällt ein, wie man sie reparieren kann.
„On Freedom. Four Songs of Care and Constraint“ heißt das 2021 erschienene Original, in der gelungenen Übersetzung von Cornelius Reiber „Freiheit. Vier Variationen über Zuwendung und Zwang“. Éine ungewöhnliche Begriffskombination. Mit Hannah Arendts politischem Freiheitsbegriff, den sie anfangs ausprobiert, kommt Nelson nicht zurecht. Arendts Trennung von öffentlicher und privater Sphäre muss mit ihrer eigenen Auffassung kollidieren. Es weht etwas von jener Freiheit in dieses Buch hinein, die man mit Kalifornien, mit Sonne, Meer und hohem Himmel verbindet. Und mit dem großen „Wir“, das Ende der 1960er Jahre begann, mit der Hippiebewegung, dem Pop, mit der sexuellen Befreiung vor der Aids-Krise, der Queer- und der Black-Lives-Matter-Bewegung. Es sind Phänomene, bei denen ein blühender Individualismus mit dem Ideal freiwilliger Kollektivität in Einklang gebracht werden kann.
Weiterlesen:
https://www.tagesspiegel.de/kultur/philo...n/28213846.html
Reset the World!
Beiträge: | 27.113 |
Registriert am: | 02.11.2015 |
Ein eigenes Forum erstellen |