Heut verfasst ich einen Reim
über unser Mädchenheim,
über Marion und mich,
ja, und Doro, über dich!
Ihr zwei Mädels aus dem Pott
wart stets aufgelegt zum Spott.
Oh, ich kenne noch genau
unsern Gruß: "Komm, alte Sau!"
In ein Heim im Frankenland
hatte man uns hin verbannt,
weil wir junge Hippies warn
mit zerzausten langen Haarn.
Hinter Gittern saßen wir
ohne Haschisch, Sex und Bier.
Hostien waren reichlich da,
sangen auch das Gloria.
Arbeitsdienst im Bügelsaal.
Nazidrachen, kannst uns mal!
Hast umsonst uns angefaucht,
dass ne deutsche Frau nicht raucht.
Sonntagsgottesdienst, ein Muss,
bei Professor Hasenfuß.
Wer dagegen aufbegehrt,
ward im Waschraum eingesperrt.
Fernsehabend: Joseph Roth!
Kurz darauf: Die Glotze tot!
Qualtinger lag nackt im Bett,
das findt keine Nonne nett.
Haben Mandrax aufbewahrt,
Pillen der besondren Art.
Sonntags gingen wir spaziern,
krochen fast auf allen Viern.
Die Klamotten im Versteck
fand die Nonne, welch ein Schreck!
Und gescheitert war die Flucht,
statt der Freiheit strenge Zucht.
Trotzdem haben wir gelacht,
übers Leben nachgedacht,
stimmten linke Lieder an,
was man nicht verbieten kann.
Jener Salesianerjung
tanzte Walzer mit viel Schwung.
Er war strebsam, ernst und fromm,
hab ihn leider nicht bekomm'.
Das ist viele Jahre her.
Heute wird das Herz mir schwer,
weil du nicht mehr bei uns bist.
Eine, die man nie vergisst!
Liebe Doro, hast jetzt Ruh,
irgendwann komm ich dazu.
Fehlt nur noch die Marion,
doch die findet uns dann schon!
Die Leute sagen immer:
Die Zeiten werden schlimmer.
Die Zeiten bleiben immer.
Die Leute werden schlimmer.
Joachim Ringelnatz
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Darf man fragen, ob das autobiographisch ist?
Wie auch immer, so ist es doch hervorragend geschrieben und zeigt, wie Zusammengehörigkeit jede Strenge überwindet, und wie schön Freundschaft ist, bis zum Ende.
Großartig, liebe SJ.
Sirius
Reset the World!
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Mir gefällt es auch, Jenny.
Und es scheint mehr als ein Gedicht zu sein.
Da steckt viel drin...
Gut gelungen, schön erzählt.
Jonny
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Hallo ihr Lieben,
ja, es ist autobiographisch. Der Muff der fünfziger und sechziger Jahre war halt noch zu spüren. Dass meine Eltern alles andere als muffig waren und mein Freiheitsdrang groß war, passte der Gesellschaft überhaupt nicht. Eine finstere Zeit, diese zwei Jahre im Heim, aber wir Mädchen hatten trotzdem unseren Spaß. Doro hatte ich vor einigen Jahren wiedergefunden. Leider wurde sie sehr krank und musste sterben. Marion bleibt verschollen. Dafür habe ich Anke wiedergefunden, meine Ausreißfreundin. Wir halten zusammen, jetzt, da es um die Entschädigung geht. Und wenn alles klappt, wird es auch ein Buch geben.
Danke für eure lobenden Worte!
Liebe Grüße
Seeräuber-Jenny
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Joachim Ringelnatz
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Liebe Seeräuber-Jenny,
wenn auch der Schluss traurig macht, es hört sich nach viel Abenteuer an, trotz der strengen Gegebenheiten.
Das ist wirklich sehr gut und auch humorig geschrieben.
Lieben Gruß
Letreo
Schreiben macht schön.
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Seeräuberbraut,
Das ist Lebensgefühl und -Lust pur. Eine Hommage an das, was wirklich zählt.
Herzlich geschmunzelt, gelitten und mich auch meiner Erinnerungen gefreut..
Die Rebellin
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Liebe Letreo und liebes Frollein,
aye, das war wirklich eine abenteuerliche Zeit! Das kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen bei einem geschlossenen Heim. Wir haben zusammen getanzt, gemalt, gedichtet, die Nonnen veräppelt und täglich eine Zigarette geraucht.
Doro, Marion und ich waren ein lustiges Gespann.
Und als ich später mit Anke abgehauen bin und wir um einen See herumtanzten, da habe ich mich für einen Moment so richtig frei gefühlt! Leider war dieses angenehme Gefühl nur von kurzer Dauer, denn zwei Tage später landeten wir im Polizeiarrest. Ich kam zurück ins Heim und Anke in die Psychiatrie, obwohl sie keineswegs verrückt war.
Liebe Grüße
Seeräuber-Jenny
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Joachim Ringelnatz
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Mich haben se vom Promiinternat in Bad Godesberg geschmissen, weil der Stubenälteste der Heimleitung verriet, dass ich einen Zigarettenautomaten mit Hilfe eines Stielkammes entleerte. Das war gut so, denn kaum ein Jahr später wurde ein Drogen- und Sexskandal zwischen Erziehern und Internatsschülern publik.
Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!
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Oh, dann haste aber noch mal Glück gehabt!
Stielkamm! Ich dachte, damit könnte man sich lediglich die Haare toupieren.
Lieben Gruß
Seeräuber-Jenny
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Joachim Ringelnatz
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