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Johann Ludwig Ambühl: „Lied einer Schnitterin“

#1 von Sirius , 23.03.2021 19:52

Johann Ludwig Ambühl: „Lied einer Schnitterin“

Ein Abschiedsmahl, das zugleich ein Freudenfest ist: Gedanken einer Schnitterin bei der Arbeit im Getreidefeld an das Leben, den Tod, an die abendliche und an die allerletzte Heimkehr.

Wer je eine Garbe Korn im Arm gehalten hat, wird das archaische Glücksgefühl, das dabei den Körper durchströmt, nie vergessen. Solch ein Glück bejubelt die Schnitterin im nebenstehenden Erntelied, das wie von Goldstaub überhaucht erscheint. „Reif und warm“ von der Sonne ist die Garbe, golden die Ähre, als hätte Lugh, der „leuchtende“ Keltengott der Helvetier sie hier, hinter dem Säntismassiv, geküsst. Aber noch hat die Schnitterin ihre Sense nicht aus der Hand gelegt, um nach der Sichel zu greifen, da wird ihr bewusst, dass sie das domestizierte Gras tötet, dessen Fruchtstand sie essen will. In der dritten Strophe reimt sich „heim“ auf „heim“ – scheinbar ungeschickt. Aber das ist gewollt, denn dem Heimgang des Korns zur Tenne entspricht der Heimgang des Menschen zu Gott: „Immer nach Hause“, wie Novalis schrieb.

Der Dichter der Frühromantik war erst acht Jahre alt, als dieses „Lied einer Schnitterin“ 1780 in der „Brieftasche aus den Alpen“ nebst Erzählungen und Betrachtungen von Johann Ludwig Ambühl (1750 bis 1800) in Zürich erschien. 1803 wurde es postum unter dem Titel „Gedichte“ in St.Gallen und Leipzig gedruckt, zu singen nach einer Melodie des Schweizer Politikers und Komponisten Johann Jakob Walder. In Wattwil, Kanton St.Gallen, geboren und autodidaktisch gebildet, hatte sich der Schulmeister Ambühl von der „Reformierten Moralischen Gesellschaft im Toggenburg“ literarisch anregen lassen. Toggenburg? Diese Gegend kennt man eher aus der „Lebensgeschichte“ des Ulrich Bräker. Tatsächlich waren die beiden helvetischen Dichter miteinander befreundet, und Ambühl nahm Texte von Bräker in seine „Brieftasche“ auf. Beflügelt von der poetischen Kraftmeierei des „Sturm und Drang“, verfasste er, bald ein umtriebiger Hauslehrer und Distriktstatthalter im Oberrheintal, auch Dramen in shakespearisierendem Stil. Aufgeführt wurde nur sein „Wilhelm Tell“, 1792 im Schauspiel Zürich.

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https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/b...l-17228851.html


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