"Mitgift"
Der Erste heißt immer Wilhelm
Henning Ahrens erzählt in seinem Roman "Mitgift" von Vätern und Söhnen, Gewalt und Ausweglosigkeit. Es ist ein Glanzstück.
Im August 1962 klingelt es an der Tür von Gerda Derking. Gerda ist die Totenfrau. Stirbt jemand im Dorf, wird sie geholt, um den Leichnam vor der Beerdigung nach den Wünschen der Hinterbliebenen zurechtzumachen. Gerda Derking kennt die Häuser und kennt die Geschichten des Dorfes. Nun, an diesem Spätsommertag, steht Wilhelm Leeb senior vor ihrer Tür. Ein Mann, mit dem Gerda seit Jahrzehnten eine Geschichte verbindet. Ihr Nachbar, der in Klein Ilsede, so heißt das Dorf, nur "der General" genannt wird. Doch alles Herrschsüchtige, Hochmütige ist nun von ihm abgefallen. Er knetet seinen Hut in den Händen und sagt zu Gerda: "Wir brauchen dich", und es wird schnell deutlich, dass es hier um keinen gewöhnlichen Todesfall geht.
Henning Ahrens ist Lyriker, Essayist, renommierter Übersetzer aus dem Englischen und Romancier. Er wurde 1964 in Peine in Niedersachsen geboren und wuchs auf dem Bauernhof seiner Familie in Klein Ilsede auf. Heute lebt er in Frankfurt am Main. Ahrens' Romane waren bislang im besten Sinne des Wortes fantastische Leseabenteuer. Gekonnt spielte Ahrens darin mit den Genres, vermischte surreale und romantische Motive, baute sie wie selbstverständlich in die Gegenwart ein und schuf so einen in sich geschlossenen und schlüssigen Erzählkosmos.
In Mitgift, seinem fünften Roman, schlägt Ahrens einen anderen Tonfall an: Nüchtern, stellenweise demonstrativ distanziert, aber präzise in den Beobachtungen von sprechenden Details, erzählt Henning Ahrens die Geschichte einer Familie von der Mitte des 18. bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Es ist, wie Ahrens in seinem Nachwort schreibt, die Geschichte seiner eigenen Familie und doch auch wieder nicht. Zum einen, so Ahrens, habe er seinem Romanpersonal die Freiheit gegeben, sich zu verselbständigen. Zum anderen habe er auf die Biografien von Vorfahren zurückgegriffen, die er persönlich nie getroffen habe, sondern nur aus Erzählungen und Familienchroniken kenne.
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