Lebenslügen
Autofiktion wird selten kritisiert. Warum? Über Alem Grabovac’ „Das achte Kind“
Die autobiografische Fiktion löst so langsam den Roman ab. Attraktiver als eine fingierte Welt scheint die quasi authentische Erzählung eines Lebens. Der Suchtfaktor für Leser und Leserinnen ist enorm, wer wollte es beklagen. Für Rezensenten kann diese Entwicklung allerdings zum Problem werden. In einem Kulturbetrieb, in dem alle verbandelt sind, ist die Hemmung, ein Werk zu kritisieren, groß und wächst mit der Gattung. Ein Sachbuch ist leichter zu kritisieren als ein Roman, ein Roman leichter als Lyrik.
Ganz schwer wird es mit autobiografischer Fiktion. Da Autofiktion kaum verstellt aus dem Leben seines Autors erzählt, zielt die Kritik am Werk vermeintlich ins Herz seines Autors. Ein Fehlschluss, und doch ist man gehemmt. Vor allem, wenn man den Autor kennt und mag. Im Normalfall lässt man es dann einfach mit der Besprechung. So bleiben unzählige von Debüts unbesprochen oder mit Gefälligkeitsrezensionen bedacht. Zumal, wenn das Buch in die Rubrik „post-migrantische Literatur“ fällt. Rasch handelt man sich hier den Vorwurf ein, den Text zu kritisieren, aber das Anliegen zu meinen. Den Ärger kann man sich sparen, und vergrößert das Elend der Literaturkritik.
Alem Grabovac hat bei uns ein Praktikum gemacht, ein feiner Kerl. Als ich hörte, dass ein „Roman“ von ihm erscheint, war ich gespannt. Das achte Kind ist aber kein Roman, sondern, eben, Autofiktion. Alem Grabovac erzählt eine Geschichte, die natürlich auch die seiner Herkunft ist. Bosnischer Vater, kroatische Mutter; saufender Vater weg, arbeitende Mutter überfordert, Sohn wächst bei deutschen Zieheltern auf, Vater nett, aber Nazi.
Krass.
Als ich das Buch zu Ende gelesen hatte, war ich immer noch der Meinung, dass Alem ein feiner Kerl mit einem höchst erzählenswerten Leben ist. Aber ich war nicht mehr der Meinung, dass das Buch alles gegeben hat, um dieses Leben gut zu erzählen.
Zum Beispiel: Im ersten Teil, dem „Buch Smilja“, wird von der Mutter erzählt. Sie wächst ärmlich in einem kleinen Dorf im Karst auf. Einmal bekommt sie vom Onkel ein Stück Schokolade geschenkt. Eine „Offenbarung“ für sie. Von da an greift die kleine Smilja nach den Schokoladenresten, die zwei Mädchen aus besserem Haus wegschmeißen, und isst sie in ihrem Versteck auf dem Heimweg. Einmal wird sie wütend, weil sie erkannt hat, dass weder Tito noch der Pfarrer ihr zu Schokolade verhelfen werden.
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