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Christoph Held: „Bewohner“

#1 von Sirius , 10.05.2022 17:03

Christoph Held: „Bewohner“

Christoph Helds „Bewohner“ erzählt vom allmählichen Verschwinden des Verstandes

Galt bisher als letzter Beweis für die Gleichheit der Menschen ihre Sterblichkeit, ist es nun auch um sie geschehen. Gleichheit vor dem Tod ereilt die Menschen im Zustand der Demenz. Der Verlust des Verstandes führt unter der Regie des Schweizer Autors und Gerontopsychiaters Christoph Held einen Verwaltungsratspräsidenten, eine Schauspielerin, eine durch Erbschaft vermögende Pharmareferentin, eine italienische Gastwirtin, einen Kellner, einen Drogenabhängigen und eine Dame zusammen, die schon zu Lebzeiten glaubt, längst tot zu sein. Christoph Held nennt sie Bewohner. Das Wort beschreibt ihre letzte gesellschaftliche Position vor dem Tod. Sie leben in einem Zürcher Pflegeheim. Infolge ihrer Demenzerkrankung verlieren sie alles, was ihr Leben ausgezeichnet hat, das Empfinden, Erinnern, Unterscheiden und Wahrnehmen ihrer gesellschaftlichen Position wie die Mikroformen des gesellschaftlichen Umgangs. Alles geht infolge der Demenz dahin.

Helds im feinen Dörlemann Verlag erschienenes Buch liest sich wie ein Theaterstück, das dem Ensemble unter der Regie des Autors das Letzte abverlangt, die Preisgabe des Individuellen, ohne diesen Verlust an die Rampe zu wuchten. Wer diese Rollen zu spielen übernimmt, muss Otto Muehls Wühlen in Innereien gesehen und hinter sich gelassen haben, muss durch die Absurdität von Becketts Winnie und Ionescos Nashörnern gegangen sein, um in den klassenlosen Zustand des Geistverlorenen zu finden. Der diskrete Charme der Bourgeoisie geht über die Limmat und kehrt nicht mehr zurück. Sie müssen in einen postnaturalistischen Zustand des Nichterkennenkönnens des eigenen Zustands finden, um einen wahren Ton des Geistverlorenen anzustimmen.

Auf dem Weg dahin gibt es diskrete Vorzeichen dafür, dass der Verstand verloren geht. Es gibt auch für sie selbst die unerklärliche Angst der Betroffenen davor, dass sich etwas verändert, dass sie die Kontrolle über sich verlieren, bis sie schließlich in die drei Welten ihrer letzten Station auf Erden eintreten: die scheinbar noch funktionierende Welt der beginnenden Demenz, die zweite Welt der Läufer und Herumträger, ein Ambulatorium fortschreitender Verwirrung, und schließlich die dritte Welt des letzten Stadiums der Demenz, in dem nur noch Klänge und Berührung, Mimik, Gestik, auch ein vordergründig sinnlos erscheinendes Reden das Leibhaftige erreichen.

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https://www.freitag.de/autoren/hans-huet...er-herumtraeger


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Sirius
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