Christoph Peters : Der Sandkasten
Christoph Peters verspottet in seinem Roman „Der Sandkasten“ den Berliner Politbetrieb. Mit dabei: ein eitler Oberliberaler und „sein lautester Stellvertreter“.
Vielleicht leidet Kurt Siebenstädter nur an einer Midlifecrisis, aber es ist wohl schlimmer. Nach außen mag es scheinen, als sei der Starmoderator einer Morgensendung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit Glück und Geld gesegnet. Hunderttausende Hörer kennen seine Stimme, seine zwölf Jahre jüngere Ehefrau und die 13-jährige Tochter lieben ihn, das Haus im Berliner Stadtzentrum ist fast abbezahlt. Aber innendrin sieht’s anders aus, da spürt er, wie ihm gerade sein Leben entgleitet.
Wenn Siebenstädter über Neuanfänge nachdenkt, fällt ihm nur ein, dass er bald 52 sein wird, also ein Prachtexemplar der Spezies ]alter weißer Mann. Wo sollte er hingehen? Bei einem privaten Dudelfunksender würde er nicht mal die Namen der Bands kennen, die er ansagen müsste. Mit seiner Sendung erreicht er zwar noch ein großer Publikum, aber es schrumpft und ist überaltert.
Außerdem wird ihm zugetragen, dass sich „etwas zusammenbraue“ gegen ihn, weil er in seinen gnadenlos geführten Interviews zu Provokationen neigt und mitunter Wörter benutzt, die als diskriminierend empfunden werden könnten. Für einen wirklichen Aufbruch fehlt ihm die Phantasie, deshalb macht er weiter, „obwohl er wusste, dass seine Zeit abgelaufen war“.
Siebenstädter ist der Held von Christoph Peters’ Politbetriebsroman „Der Sandkasten“. Für dieses menschliche Auslaufmodell in seiner ganzen Jammerlappigkeit müsste man sich nicht weiter interessieren, wenn sein Scheitern nicht symptomatisch wäre. Denn der abgehalfterte Großjournalist hatte durchaus mal Ideale. Fragensteller ist er geworden, „um die Gewissheiten auszuhebeln, zu zweifeln, zu spotten“. Lauter Eigenschaften, die sich nun, in Zeiten einer neuen „Hypermoral“ und eines „totalitären Transparenzwahns“, wie er es nennt, gegen ihn wenden können.
Sein Berufsethos, „an nichts zu glauben“ und „nichts zu meinen“, wirkt hoffnungslos anachronistisch. „Die ungehörige Frage war seine Form von Aufrichtigkeit, die einzige, der er sich verpflichtet fühlte.“ Siebenstädters persönliche Tragik liegt darin, dass er sich inzwischen schon nach dreißig Minuten nicht mehr an die Fragen erinnern kann, die er in seiner Sendung einem Politiker gestellt hat.
Das Problem von eng an der Wirklichkeit entlang geschriebenen Schlüsselromanen über den politisch-medialen Komplex wie Dirk Kurbjuweits „Nicht die ganze Wahrheit“ oder zuletzt Ulf Erdmann Zieglers „Eine andere Epoche“ ist, dass sich der Leser womöglich an manchen Twist im Plot noch aus der Zeitung erinnert.
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https://www.tagesspiegel.de/kultur/schlu...ht-8633731.html
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