Theresia Enzensberger: Blaupause
Theresia Enzensberger lässt ihre Romanheldin viel erdulden – und den Leser auch
Eine junge Frau aus gutem Hause sucht ihren Weg, privat wie beruflich. Luise Schilling geht 1921, gegen den Willen der Eltern, ans Bauhaus nach Weimar, wo man sie aber nicht zur Baulehre zulässt, vielmehr ins weibliche Weben abdrängt. Zugleich gerät sie in den esoterischen Zirkel um Johannes Itten und an einen Kommilitonen, der sie aber nach Strich und Faden mit anderen betrügt. Ihre Eltern beordern sie 1923 zurück nach Berlin, in die Haushaltsschule, um für die Ehe ertüchtigt zu sein. 1926 sehen wir sie wieder am Bauhaus, nun in Dessau und ohne Unterstützung der Eltern. Sie kellnert bei einem Grabscher, schafft es nun auch in die Baulehre zum Kommunisten Hannes Meyer. Zugleich lernt sie einen Kommilitonen kennen, mit dem alles wunderbar scheint, der ihr jedoch bei einer Auseinandersetzung brutal die Faust ins Gesicht haut.
Die Professoren, denen Schilling ihre Abschlussarbeit, den Entwurf einer Großsiedlung für Arbeiter, präsentiert, fragen sie zweifelnd, „wie eine Frau zu derartig funktionalen, um nicht zu sagen maskulinen Entwürfen kommen kann“. Damit noch nicht genug: Der verehrte Bauhaus-Gründer Walter Gropius, stellt sich heraus, hat sich ihr Projekt für Berlin als seines für Karlsruhe angeeignet. Luise Schilling steht nun sogar als Plagiatorin da. Nach dennoch bestandenem Examen geht sie in die USA. Die Geschichte illustriert, wie sehr vieles davon heute, nach fast hundert Jahren, jungen Frauen noch immer widerfährt, beruflich wie privat. Umso bewundernswerter sind die Zähigkeit, die Energie und der Optimismus, mit denen Theresia Enzensbergers Figur Luise Schilling das alles bewältigt! Allein deshalb stimmt diese Lektüre optimistisch.
Allerdings schleppt Theresia Enzensberger eine große Last mit, nämlich das Zeitkolorit jener Jahre, durch das Luise Schilling hindurch muss. Da fehlt so gut wie nichts: Jazz und Kino (Nosferatu), Drogen und anrüchige Bars, Lesben, Schwule und Transvestiten, Kommunisten und Zionisten, Nazis und Kohlrabi-Apostel. Kriegsversehrte nicht zu vergessen. Dazu das historische Personal des Bauhauses wie der Politik, Inflation und Ruhrbesetzung, Brand des Justizpalastes in Wien und Massenschlägereien in Berlin. Alles da. All das unterfüttert, wie in der erlebten Zeit die Ereignisse verwirren, die ideologischen Linien sich kreuzen und überblenden, wie schwer es ist, zeitgenössisch Orientierung zu finden.
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