Katja Lange-Müller: Drehtür
Katja Lange-Müller steckt eine Ex-NGO-Mitarbeiterin in eine Erinnerungsschleuder
Vermutlich ist Asta keine Frau, die sich hinsetzen würde, um Nietzsche zu lesen. Das passt nicht zu ihr. Und doch hat Katja Lange-Müller ihrem Roman – und damit ihrer Romanfigur – ein Zitat des Mitleid-Verächters und Nächstenliebe-Überwinders Nietzsche als Motto mitgegeben: dass der allerbeste Wille nichts nützt, wenn er „unbescheiden genug ist, denen nützen zu wollen, deren Geist und Wille ihm verborgen ist“.
Ums Helfen in all seiner Vergeblichkeit und die oft kontraproduktiven Folgen geht es in diesem Buch. Nach 22 Jahren Auslandseinsatz in diversen Hilfsdiensten und Krankenhäusern ist Asta wieder in Deutschland gelandet. Sie steht einigermaßen derangiert am Münchner Flughafen in einer Drehtür, zwischen drinnen und draußen, aber doch eher draußen, weil sie unbedingt rauchen muss, und zwar nicht nur eine, sondern ganz viele Zigaretten. Schließlich hat sie eine ganze Stange aus dem Duty-free-Shop in ihrer Plastiktüte. Mit dem Rauchen kommen die Erinnerungen, ausgelöst durch Passanten, die dieser oder jener Figur aus ihrem Leben ähneln. Mit jedem Zug steigert sich ein anfangs noch diffuses Unwohlsein. Dass Rauchen tödlich ist, steht ja auf jeder Zigarettenpackung; die Geschichten aber, die sich einstellen, die sind pures Leben. Erzählen ist nicht bloß in Tausendundeiner Nacht ein Überlebensmittel.
Asta ist da, und sie ist nicht da. Sie ist angekommen, aber ohne Ziel. Mit den deutschen Worten tut sie sich schwer, die sogenannte Muttersprache ist ihr fremd geworden. Hauptwort? Aufhören? Aufhorchen? Kettenglied? Donnergrollen? Was haben die Worte und die Dinge, die sie bezeichnen, miteinander zu tun? Also beschließt sie, erst einmal nichts zu sagen, in ihren Gedanken zu verschwinden. Asta ist 65 Jahre alt, Zeit für Rente und Ruhestand, und da steht sie nun, eher unruhig, weil die titelgebende Drehtür nun mal kein Platz ist, an dem man zur Ruhe kommen könnte.
Asta ist altersmäßig, nikotintechnisch, DDR-geschichtsbezüglich, mit einem Ulan-Bator-Aufenthalt und sicherlich auch manchen anderen Erlebnissen ein Alter Ego der Autorin. Die Versuchung, Bücher von Katja Lange-Müller als autobiografische Auskünfte zu lesen, ist immer groß, weil sie darin so deutlich enthalten ist. Sie selbst bezeichnete ihr Schreiben einmal als „Konglomerat aus Erlebtem, Gehörtem und Erdachtem“ – was auch sonst? Das macht zwar in der Summe ein Leben aus, hat aber nichts mit biografischer Linientreue zu tun. Umso mehr aber mit einer Gefühls- und Wahrnehmungsauthentizität, die ihrer Prosa stets eine besondere, menschenfreundliche Wärme gibt. Weil das so ist, lässt Katja Lange-Müller ihre Asta dann auch beiläufig über dieses Problem nachdenken, so als ob ihre Figur schon selbst nicht mehr wüsste, was sie sich ausgedacht und was sie tatsächlich gehört oder erlebt hat. Bei einer guten Geschichte ist das ja sowieso vollkommen egal.
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