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Norbert Scheuer: Mutabor

#1 von Sirius , 11.07.2022 17:14

Norbert Scheuer: Mutabor

Vom Zauber, sich mit der Sprache verwandeln zu können: Norbert Scheuer hat mit "Mutabor" seinen schönsten und rätselhaftesten Roman geschrieben.

Als es im vergangenen Jahr zu der Flutkatastrophe in Deutschland kam, gehörte Kall in der Eifel zu den am schwersten betroffenen Gemeinden; jenes Kall, das der hier im Ortsteil Keldenich ansässige Schriftsteller Norbert Scheuer zu einem fantastischen literarischen Ort gemacht hat.
Dabei hatte er sich jüngst gar als Prophet erwiesen. In seinem 2017 veröffentlichten Roman „Am Grund des Universums“ bricht ein Staudamm und Kall wird von „einer braunen Flutwelle“ überschwemmt.
Im Grunde ist „Mutabor“, Scheuers neuer, dieser Tage erscheinender Roman (C.H. Beck Verlag, 192 S., 22 €) die Fortschreibung von „Am Grund des Universums“, eine Reaktion auf die reale Flut. Doch mehr noch wirkt dieser Roman wie der zweite Teil eines Diptychons, wie ein Seiten- und Gegenstück.

Die „Grauköpfe“, der Erzähl-Chor aus Kall, zu dem der 70 Jahre alte Scheuer selbstredend auch gehört, sitzen also in „Mutabor“ wie stets in der Caféteria des Supermarkts direkt an den Bahngleisen und kennen alle Geschichten und Begebenheiten aus Kall und Umgebung.
Sie haben ihre neuen, von der Versicherung bezahlten Autos im Blick, genauso das Kommen und Gehen auf dem Gelände des renovierten Supermarkts, und sie reden über das, was passiert ist: „Die Schuld an ihren Verlusten, an den zahlreichen Ertrunkenen, den vernichteten Existenzen, den Zerstörungen, kurzum am Niedergang Kall und des Urftlandes geben sie einzig und allein Caspary und Raimund Molitor, darin sind sie sich ausnahmsweise alle einig.“

Caspary und Raimund Molitor sind Figuren aus „Am Grund des Universums“, Bauunternehmer der eine, stellvertretender Direktor der örtlichen Bank der andere. Sie wollten Kall zu einem Touristenparadies machen, mit einem vergrößerten Stausee und einem Ferienpark, und dann brach eben der Staudamm. „Mutabor“ spielt zu der Zeit des 2017er-Romans und danach, in der Gegenwart, und wieder einmal vermischt Norbert Scheuer Wirklichkeit und Fiktion, Zeiten und Räume.
Die Hauptfiguren sind wie in „Am Grund des Universums“ die Mutter von Raimund Molitor, Sophia Molitor, und vor allem, als Ich-Erzählerin, die junge Nina Plission, die jetzt allerdings aus gutem Grund keinen Nachnamen mehr hat.
Nina ist elternlos aufgewachsen, ihre Mutter hat sich früh aus dem Staub gemacht und sie bei den Großeltern zurückgelassen. Sie trägt Zeitungen aus, kümmert sich um den schwer verletzt aus Afghanistan zurückgekehrten Paul Arimond, jobbt in der Kneipe von Evros und leidet unter epileptischen Anfällen, überdies an einer visuellen Agnosie, einer Alexie: Sie kann zwar schreiben, aber sie kann nicht lesen, was sie geschrieben hat.

Weiterlesen:

https://www.tagesspiegel.de/kultur/norbe...t/28493732.html


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Sirius
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