So wie ich nicht die Arbeit sehe, sehe ich auch im Kühlschrank das Essen nicht. Hunger und Langeweile begleiten mich jeden Tag.
Alle Tage sind gleich. Die einzige Abwechslung ist, dass manche Tage länger sind. Manchmal scheint ein Tag eine ganze Woche zu sein. Früh ist Montag, Vormittag ist Dienstag und Mittag Mittwoch und früher Nachmittag Donnerstag und später Nachmittag Freitag und der Abend Samstag und der Sonntag ist die Nacht. Wenn ich das alles gründlich durchdenke… wird der Tag auch nicht kürzer. Der Tag wird allenfalls kürzer, wenn ich schlafe. Aber der Hunger und dieses absolut peinliche Gefühl der Langeweile, obwohl es eigentlich in dieser brutalen Welt noch so viel zu tun gibt, hält mich wach.
Der Kühlschrank zieht mich, wie ein Magnet, an. Der Kühlschrank brüllt, wie mein bereits vor einer halben Ewigkeit verstorbener aggressiver Opa: Kommst du? Oder kommst du nicht?
Ich öffne die Kühlschranktür und sehe hinein und verspüre eine leise Panik, weil ich nicht lange hineinsehen und Strom sparen möchte. Der Mozzarella erinnert, dass mir Tomaten fehlen und die Tomatensauce in dem breiten Einwegglas erinnert, dass ich keine Spirelli und Spaghetti habe. Wurst und Butter ermahnen, dass ich Brot und Brötchen kaufen muss. Soll ich zum Bäcker gehen? Die Bäckerin hat mir vor zwei Wochen zu wenig Geld rausgegeben und es ist mir erst zu Hause aufgefallen. Ob es ein Versehen war oder Absicht? Ich traue ihr zu, dass es Absicht war. Sie meidet, als wäre sie im absoluten Stress, Augenkontakt. Das ist kein Stress. Das ist Scham.
Der Kühlschrank schimpft: Nimmst Du Dir nun was? Oder lässt es sein?
Warum ist nur der Geist meines Opas in den Kühlschrank gefahren? Wäre ich gerne ein Kühlschrank? Tja. Wenn ich unser Kühlschrank wäre, würde ich jedenfalls niemals mein reiches Innenleben verlieren. Im Grunde bin ich wie dieser Kühlschrank. Ich erlebe nur Mist und mein Inneres bleibt unbehelligt von den grausamen Erlebnissen. Vielleicht ist es nur wünschenswert, ein solches Innenleben zu haben, in das man sich bei schlimmen Schmerzen zurückziehen kann. Ein reiches Innenleben schafft eine gesunde Distanz zu seinem Alltag.
Ja, alle Tage sind gleich. Im Grunde, denke ich, ist manchmal ein Tag, wie eine ganze Woche….
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Ich hoffe doch sehr für dich, dass das LI nicht dein RI ist (Real Ich). Das könnte nämlich aus einem Lehrbuch stammen mit dem Titel: "Wie man sich selbst das Leben versaut"...
Die ganz einfache Kunst ist, zu erkennen und sich zu freuen, dass man überhaupt einen Kühlschrank hat und dann auch noch Mozarella, und NICHT:
Zitat von Dilemmaemma im Beitrag #1
Mozzarella erinnert, dass mir Tomaten fehlen
Zitat von Dilemmaemma im Beitrag #1Mit Betonung auf REICH.
Ein reiches Innenleben schafft eine gesunde Distanz zu seinem Alltag.
Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)
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Danke für deinen Kommentar! Ich habe nicht über mich selbst geschrieben. Da kommen einige Dinge zusammen, was mich zum Schreiben veranlasst hat.
Ich habe in meinem Bekanntenkreis von einem Mann gehört, der sein Haus nicht verlässt. Ich habe mir überlegt, was er den ganzen Tag macht. Ich habe mir vorgestellt, dass er immer in den Kühlschrank sieht, der fast leer ist, weil er nicht raus und einkaufen gehen kann, und das für ihn die Zeit nicht vergeht.
Die gelegentliche Langeweile ist mir wirklich peinlich. Manchmal weiß ich nicht, was ich machen könnte, obwohl man in dieser Welt so viel verändern sollte. Das sind spannende widersprüchliche Gefühle, finde ich.
Danke für deinen ausführlichen Kommentar und hab einen guten Montag!
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Hikikomori... heißt das Übel, das um sich greift. Das passuert, wenn man sich von den Menschen abwendet, aufgibt, und irgendwann ist es zu spät. Es gibt in einigen Ländern schon Einsamkeitsministerien. Das Problem ist, dass eine biologische Existenz ohne andere Menschen durchaus möglich ist, dank Internet. Eine seelische Existenz nicht. Wir brauchen einander, wir sind zutiefst soziale Wesen. Wir brauchen Berührungen.
Danke für Deine erhellenden Worte, Dilemmaemma.
Jörn
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