Thomas Hürlimann: Der Rote Diamant
Die Hürlimann-Apokalypse: Mit „Der Rote Diamant“ hat der Schweizer Schriftsteller ein Meisterwerk geschaffen. Es beruht auf eigenen Erfahrungen, führt seine Erzählung aber weit über alles hinaus, was man erwarten darf.
Um Thomas Hürlimanns neuem Roman „Der Rote Diamant“ nahezukommen, ist ein kleiner Umweg nötig. Er führt zu Thomas Bernhard, dem singulären Tragikomödianten unserer Literatur. Zu dessen luziden Begriffsfindungen zählt „die Lachphilosophie“, naturgemäß inklusive eines entsprechenden „Lachprogramms“. Bernhard veranschaulicht es an seinem Debüt- und Verzweiflungsroman „Frost“ von 1963: „Wenn man ,Frost‘ liest zum Beispiel, das ist eigentlich alle Augenblick’ hellauf zum Lachen . . . Das sagt nicht, daß ich nicht auch ernste Sätze geschrieben hab’, zwischendurch, damit die Lachsätze zusammengehalten werden. Das ist der Kitt.“
Die Nutzanwendung in Sachen Hürlimann lautet: Auch dieser ernste und grundmelancholische Erzähler zeigt sich in seinem neuen Buch als eminenter Lachphilosoph. Als lachphilosophischer Untergangsroman ist „Der Rote Diamant“ ein Triumph. So viel Heiterkeit bei so viel Verlust. So viel Witz trotz endlosen Schreckens. So viel Humor bei permanenter Tristesse. Dieser Roman ist als Karneval der Katastrophen vor allem ein Fest des Komödiantischen. Ganz im Sinne Bernhards dürfte Hürlimann jede Menge Fenster-, Fugen- oder Glaserkitt benötigt haben, um sein Erzählgebäude irgendwie zusammenzuhalten. In beeindruckender Solidität steht es jetzt da.
Was aber geht unter? Nicht weniger als das Katholische selbst: Kirche wie Kreuz, Klosterwesen wie Katechismus, Pilgerfrömmigkeit wie Reliquienglaube. Zudem laufen die Leute einfach weg. Zwei Akteure bleiben am Ende zurück: der Vatikan, der freilich erst im allerletzten Moment auftreten darf, und die Hauptfigur des Buchs, ihrerseits eine derart heldenferne und auf unwiderstehlich liebenswerte Weise auch derart lächerliche Gestalt, dass man mit Bewunderung über ihre Durabilität, ihre Menschennähe und ihre, man kann es nicht anders sagen, metaphysische List gar nicht mehr innehalten möchte. Diese Hauptfigur heißt Arthur Goldau. Den Namen sollte man sich merken.
Als Kloster- und Ketzer-, als Mönchs- wie als Mordgeschichte erinnert „Der Rote Diamant“ natürlich auch an einen der erfolgreichsten Untergangsromane der jüngeren Literatur, an Umberto Ecos „Der Name der Rose“ von 1982. Bei Eco gibt es, im Kapitel „Zweiter Tag. Tertia“, ein Streitgespräch über das Wesen der Komödie und, grundsätzlicher noch, über den Sinn des Lachens. Dabei versteigt sich der blinde Jorge von Burgos, der brillante Bösewicht des Buchs, zu der These, Komödien und Fabeln seien schon deshalb verwerflich, weil sie eine Erfindung der „Heiden“ seien, „unser Herr Jesus“ sie ebendeshalb gemieden habe. Stattdessen habe er „klare Gleichnisse“ erzählt, die uns zeigten, „wie wir ins Paradies gelangen“. Weil das Paradies zwar eine wahre und schöne, aber eben auch eine sehr ernste Sache sei, „hat Christus auch nie gelacht“.
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