Lasst den Gaspreis auf euch wirken!
Viele Menschen können sich das Heizen bald nicht mehr leisten. Und dann kommen auch noch Politiker, die finden, dass hohe Preise gut sind.
Fast zwei von drei Deutschen können bald nichts mehr zurücklegen. Infolge der Inflation müssten sie, prophezeit der Präsident des Sparkassenverbands, sämtliche Einkünfte verbrauchen, gegebenenfalls Reserven.
Mein Haushalt, schwant mir, könnte diesem Kreis angehören. Ich finde das unerfreulich. Nennt mich knickrig. Selbstlosere Personen denken an den Planeten und halten die Energiepreisexplosion für pädagogisch wertvoll. Der Plebs wird dadurch mit marktmechanischem Nachdruck in Richtung Klimaschutz geschubst.
Was besagte Personen aufregt: Die Bundesregierung senkt die Mehrwertsteuer auf Gas. Das kürzt den materiellen Hebel zur Weltrettung. Um einige Millimeter. Danyal Bayaz, Finanzminister von Baden-Württemberg, twittert: „Besser wäre, Preise wirken zu lassen, um zum Sparen anzureizen.“ Jan Philipp Albrecht, ebenfalls Berufsgrüner und Chef der Böll-Stiftung, seufzt: „Was für ein teurer Fehlanreiz.“ Energiewende-Professor Volker Quaschning: „Wenn man etwas sparen muss, darf man es nicht billiger machen.“
Ich möchte im Gedankenpalast von Herrn Q. nicht randalieren, aber, nein, der Staat macht Gas keineswegs billiger. Er verzichtet teilweise darauf, es nach der Konzernrettungsumlage noch weiter zu verteuern. Immerhin hoffen die Zitierten, allen „Bedürftigen“, „die sich nötige Energie nicht leisten können“, würde geholfen.
Ich versuche mir vorzustellen, wie jene Personen die Verbrauchsgewohnheiten ihrer Mitbürger einschätzen. Anscheinend glauben sie, dass unter meinesgleichen die Energieversorgung ein Fall für die Portokasse sei: Wir Unangereizten prassen wie Graf Koks von der Gasanstalt, stellen im Januar die Fenster auf Kipp und die Thermostate auf 50 Grad. Sommers gießen wir die Pflanzen mit kochendem Wasser. Abends versammeln wir uns vorm Herd, um stundenlang in die bläulichen Flammen der voll aufgedrehten Brenner zu starren. Warum? Weil wir es können.
So also muss es gewesen sein, bisher. Ich kann mich daran nicht erinnern, sondern hege eher den Verdacht, dass ein Großteil der diesem Land Innewohnenden begrenzt befähigt ist, steigende Energiepreise anreizend auf sich wirken zu lassen. Viele haben von jeher die Therme nachts abgeregelt und im Winter stoßgelüftet. Sie sind nicht arm, aber eben auch nur einige Energiepreisschraubendrehungen davon entfernt, „Bedürftige“ zu werden.
Diese Leute haben Vorurteile gegen jede Annäherung ans Existenzminimum. Sie fragen sich, ob sie jenen Status erreichen, in dem man vom Amt alimentiert und von weiteren Sparanreizen verschont bleibt. Und wann: Bereits, wenn das Geld für den Urlaub nicht mehr reicht? Wenn sich der Eigenheimkredit nur bedienen lässt, indem man im Wald Feuerholz klaut? Oder erst, wenn die Raumtemperatur dank Preiswirkung unter 13 Grad sinkt?
Die Risikogruppe ist nervös und wird jetzt durch Anstandswauwaus unterrichtet, dass sie bei öffentlichen Protesten leicht in unschickliche Gesellschaft geraten könne. Keine Frage: Wenn am Ende des Geldes künftig noch Monat übrigbleibt, ist das traute Heim der sicherste Ort, um auf demokratische Weise unlustig zu sein. Doch was löst es wohl im braven Bürger aus, wenn er das Kuvert mit der versechsfachten Gaskostenabschlagsforderung öffnet, während eine von seinen Steuern auskömmlich mitfinanzierte Person über knackige Sparimpulse referiert? Ich habe eine Ahnung.
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https://www.berliner-zeitung.de/politik-...irken-li.259389
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