Ian McEwan: „Lektionen“
Ian McEwans „Lektionen“ über einen, der wie die meisten von uns die Welt nicht veränderte
Kein Fötus, der altklug daherredet. Kein Politiker, der sich in eine Kakerlake verwandelt und England zu einer Kloake macht. Keine Menage à trois mit einem Roboter. Auch Ian Macabre, einst ein Beiname Ian McEwans, scheint in „Lessons“, „Lektionen“, lange her und vorbei. Ein wenig Statistik gleich noch zum neuen Roman des Briten: Es ist der 17. und der bisher umfangreichste. Und er hat die englischsprachige Kritik zu einem eher seltsamen Superlativ inspiriert: „Lessons“ sei der „traditionellste“ Roman des Autors. Er könne also etwas vom Pep anderer seiner Bücher gebrauchen, lautet von da aus ein Urteil. Er sei das „menschenfreundlichste“ seiner Werke, heißt es anderswo.
Hier soll noch das Wort altersmilde ins Spiel gebracht werden, die Mäßigung durch Erfahrung. McEwan übt in „Lektionen“ Nachsicht und Toleranz gegenüber allen Figuren, selbst jenen, die der Hauptfigur Verletzungen beibringen (wie tief diese sind, weiß der Betroffene auch Jahre später nicht zu sagen).
Erzählt wird das Leben des – wie Ian McEwan – 1948 geborenen Roland Baines, das vor allem geprägt wird durch krasse Handlungen zweier Frauen: seiner Klavierlehrerin und seiner ersten Frau. Aber eben auch durch sein Zögern, Zaudern, seine Neigung, Ausbildungen abzubrechen und sich treiben zu lassen – durch ein Jahr nach dem anderen, von einer Frau zur anderen und einem Job zum nächsten. Und nichts, was diese beiden Frauen an moralisch Fragwürdigem taten, nimmt Roland Baines die Verantwortung für sein Leben ab.
Das erste Kapitel beginnt mit der ineinandergeflochtenen Erinnerung an beide, der „Erinnerung eines Schlaflosen, kein Traum“, wie sofort klargestellt wird. Da ist in Rolands Vorstellung noch einmal die Klavierstunde, in der Miriam Cornell den Elfjährigen schmerzhaft in den Oberschenkel kneift. Später wird sie ihn auf den Mund küssen. Ihm geradezu befehlen, sie zu besuchen. Er wird es trotzdem lange nicht tun, bis er, aus Angst, als Jungfrau zu sterben (es ist Kubakrise, alle sprechen vom Atomkrieg), eines Tages zu ihr radelt. Missbrauch ist es da immer noch, Roland erst 14.
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