Gerd Fuchs: Liebesmüh
„Liebesmüh“, eine Novelle von Gerd Fuchs, spielt an einem Bahnhof, von dem niemand mehr abreist
Es wimmelt nur so von Bahnhöfen in der Literaturgeschichte, gerade in der deutschsprachigen. Der Grund ist offensichtlich: Auf Bahnhöfen wimmelt es nur so von Geschichten. Sie sind Bühne für Begegnungen und Abschiede, für Vergangenheit und Zukunft oder, mit Robert Walser gesprochen: für „das lebhafteste und schönste Schauspiel der Welt“.
Ein Wahnsinnseinfall ist es also nicht, wenn Gerd Fuchs seine Novelle Liebesmüh in einem Bahnhof spielen lässt. Allerdings: Hier wimmelt nichts. Dementsprechend schnell lässt sich der Plot des schmalen Bands erzählen: Der Antiquitätenhändler Hans Korn verbringt die Tage nach dem Tod seiner Frau in der Bahnhofsgastronomie seines Heimatorts. Dort strandet eines Tages die Anwältin Sylvia Wolken, die ihren Mann verlassen hat. Ihre zufällige Zusammenkunft beobachtet der Inhaber der Gastronomie Mario. Seine Durchreiche gewährt einen Blick auf das wenig lebhafte Schauspiel des Provinzbahnhofs.
Was den erzählerischen Grundeinfall angeht, ist die Novelle also aufreizend simpel konstruiert. Das Gerüst ist aber erstaunlich stabil. Es trägt ein charmantes Stück Literatur, das sich vor allem durch eine Eigenschaft auszeichnet: Es überrascht.
Das wiederum ist nur wenig überraschend, wenn man den Verfasser kennt. Gerd Fuchs, Jahrgang 1932 und seit vielen Jahren in Hamburg wohnhaft, wurde Mitte der 70er Jahre durch einen „Entwicklungs- und Bildungsroman aus sozialistischem und kommunistischem Geist“ (Der Spiegel) mit dem Titel Beringer und die lange Wut bekannt – zumindest so bekannt, wie man es als Verfasser von politisch engagierter Prosa werden konnte. Während er in weiten Teilen der Öffentlichkeit bald als „Renommier-Intellektueller“ (ebenfalls Der Spiegel) der Deutschen Kommunistischen Partei galt, deren Mitglied er bis in die 80er war, blieb er den strengen DKP-Genossen gleichzeitig suspekt, weil er im Politischen genauso auf Autonomie pochte wie im Literarischen.
Mit seinem 1986 erschienenen historischen Roman Schinderhannes läutete Fuchs dann eine vielfältige zweite Schaffensphase ein. Komplexe realistische Prosa stand nun neben literarisch Groteskem, Kinderbücher und Jugendromane neben impressionistischen Kurzgeschichten und einer Autobiografie. Die Novelle Liebesmüh ist nun wieder etwas Neues und schwer zu fassen. Am ehesten passt vielleicht: magischer Realismus.
Allerdings lässt sich der magische Realismus bei Fuchs nur in den Dialogen der Figuren finden. Denn verlassen wird der Bahnhof als Handlungsort nie, und auf ihm passiert nicht viel. Er ist eine Art Transitraum, in dem die Abreise stets scheitert. So kommen die Figuren Korn und Wolken nach der ersten zufälligen Begegnung immer wieder mit ihren Koffern zum Bahnhof, reisen aber nicht ab, sondern verpassen ihren Zug, verweilen, reden, gehen abends nach Hause oder ins Hotel, um bald wieder zurückzukehren. Sie fühlen sich voneinander angezogen, gehen bei zu viel Nähe aber sofort wieder auf Distanz. Es ist, wie der Titel des Buchs schon sagt, eine wahre Liebesmüh.
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