Iris Hanika: Wie der Müll geordnet wird
Mit ihrem Roman „Wie der Müll geordnet wird“ fordert die Schriftstellerin Iris Hanika viel vom Leser – belohnt ihn jedoch reich
Die Autorin macht kein Geheimnis um ihre Poetik. Auch Iris Hanikas neuer Roman, es ist ihr fünfter, zeigt, dass der selbstreflexive Kommentar zu ihrem Repertoire gehört. Das fängt bei den Fußnoten im Text an und geht bis hin zu den Erläuterungen zum Buch auf ihrer Webseite. Ein kurzes Vorwort, das zwischen Gebrauchsanweisung, Eigenwerbung und Postulat changiert, warnt den Leser vor allen möglichen Eigenheiten. „Seien Sie unbesorgt, wenn Sie etwas nicht sofort verstehen“, heißt es dort. „Dabei handelt es sich um eine normale Begleiterscheinung der Rezeption anspruchsvoller Texte.“
Das beruhigt den Leser natürlich nicht wirklich, es sollte aber auch nicht allzu viele abschrecken, wer sich dezidiert „anspruchsvoller Literatur“ zuwendet, wird es schon zu nehmen wissen. Und glücklicherweise wird der Roman dieser selbstbewussten Aussage dann auch gerecht: Iris Hanika schreibt tatsächlich mit größtem Form- und Stilbewusstsein, kein Wort sitzt zufällig an seinem Platz. Das gilt auch für Begriffe, die woanders schlicht gestelzt klingen würden, „Gebresten“ zum Beispiel oder „Behuf“. Die Schwierigkeit liegt aber ohnehin nicht darin, solche Vokabeln zu reanimieren und in den mehr oder weniger aktiven Wortschatz zu überführen. Eine Kunst ist es vielmehr, den Roman nicht unter einem Flickenteppich aus kunstvollen Formulierungen zu ersticken. Iris Hanika gelingt das, Wie der Müll geordnet wird ist bei aller Artistik keine l’art pour l’art.
Es beginnt am Morgen, der wie jeder Morgen verläuft: Antonius geht in den Hof und räumt die Mülltonnen auf. Er sortiert „Störstoffe“ von der falschen in die richtige Tonne, als würde er damit sein Leben von Unwägbarkeiten und Unregelmäßigkeiten gleich mit bereinigen. Was ihn treibt, ist leicht gesagt und schwer getan: Er möchte nur noch sinnlose Tätigkeiten ausführen. Mit dem Ordnen des Mülls hört er sofort auf, als er einsieht, dass es viel sinnhafter ist als angenommen. Vor allem erstellt Antonius Listen, nach denen sein von Geldsorgen unbelasteter Alltag verlaufen und gedeutet werden soll – „Unangenehme Stimmen“ zum Beispiel, oder „Orte, an denen Geld gefunden wurde“.
Gerichtet ist der Roman aber letzten Endes nicht auf das Leben, nein, er ist den „Toten“ gewidmet, fünf Namen sind am Ende aufgelistet. Einer der Verstorbenen heißt Reineking. Antonius, dem reinlichen Hinterhofkönig mit seinem Sinn für Namen, hätte das gefallen. „Der Abfall ist das Böse tout court, weil er die Existenz mit dem Tod bedroht“ – so hat der Philosoph Vilém Flusser den entropischen Charakter des Mülls einmal umschrieben. Tatsächlich ist der Tod in Iris Hanikas Roman omnipräsent, weniger als Bedrohung, eher durch seine Nachwirkungen auf die Hinterbliebenen. Mitten in den tragischen Witz seiner Listen und seines Müllordnens fällt das Wort Trauer. Was er verloren hat, ist nicht bloß der Verstand. Noch ist es die Gelassenheit, Dinge wie einen Plastikbeutel im Biomüll einfach hinzunehmen. Er hat seine Frau verloren, seine Magelone. Aber kann man ihm als Erzähler über den Weg trauen? Zwar scheint seine Trauer wirklicher und substanzieller als anderes, aber Vorsicht, vorschnelle Urteile laufen bei diesem Roman in die Leere.
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https://www.freitag.de/autoren/janav/abfall-nicht-fuer-alle
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