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Helena Adler: Fretten

#1 von Sirius , 29.11.2022 16:34

Helena Adler: Fretten

Helena Adler arbeitet sich in ihrem neuen Roman „Fretten“ radikal am tristen Landleben ab.

Auch wenn ihnen zweifellos an Kompetenz und Kreativität diesbezüglich kaum jemand das Wasser reichen kann, sudern können nicht nur die Wiener. Weiter im Westen in der bäuerlichen Provinz Salzburgs sudert man nicht weniger, nur etwas brutaler und ohne den Tonfall, in dem man mit ein bisschen gutem Willen so etwas wie Charme erkennen kann. Das ist kein Wunder, glaubt man Helena Adler, das Leben auf dem Land ist kein Zuckerschlecken. Da werden viele gelernte Österreicherinnen und Österreicher zustimmen, entweder aus eigener Erfahrung, oder weil sie zumindest vertraut sind mit der österreichischen Antiheimatliteratur von Bernhard bis Jelinek.

„Fretten“, wird einem da zu Beginn des neuen, gleichnamigen Romans erklärt (die Erklärung ist wohl mehr für das deutsche Publikum als für das österreichische gedacht), bedeutet „sich abmühen, sich plagen, mühsam über die Runden kommen, sich aufreiben, sich wund reiben“. Man könnte das auch als Warnung lesen: Achtung, da kommt etwas auf euch zu. Schimmel und Moder ziehen sich durch die Stadel und Stuben, es ist eine Welt des Verfalls, deren Grausigkeiten die Erzählerin mit Inbrunst ausschmückt. Körperliche, seelische und moralische Verwesungserscheinungen spiegeln sich in den Gebäuden, innen faulig, außen verwitternd sind die Menschen nicht mehr von ihren Häusern zu trennen.

Die Protagonistin und Erzählerin verweigert von Beginn an die Zugehörigkeit zu dieser ländlichen Welt, in die sie „fallengelassen, geworfen und niedergeschmettert“ wurde, aber nicht geboren. Ihr erster Akt des Protests ist Schweigen: „Schreie sind Lebensbejahung, doch ich hielt den Mund.“ Es wird nicht ihr letzter sein, und doch hilft alles nichts, weder die Familie noch das Milieu, in das man hineingeboren wird, kann man sich aussuchen. Sexuelle Gewalt an Frauen ist an der Tagesordnung, „bei uns gibt es nur Schürzenträger und Schürzenjäger, merk dir das“, sagt die Mutter zur Tochter, es ist eine nüchterne Feststellung. Frauen sind Freiwild, der Körper der Kellnerin ist laut Vorstellung der Kundschaft im Bierpreis inbegriffen. Die Erzählerin versucht auszubrechen aus diesen Mustern, sie schließt sich einer Gang der Verlorenen und Außenseiter an, die in Häuser einbrechen und die Salzburger Festspiele mit Schlachtabfällen fluten.

Wem das tendenziell bekannt vorkommt, der hat kein Déjà-vu, sondern vermutlich Adlers großartigen Vorgängerroman „Die Infantin trägt den Scheitel links“ (er ist nicht, wie allerorten zu lesen ist, ihr Debütroman) gelesen, der es 2020 hochverdient auf die Shortlist des Österreichischen und die Longlist des Deutschen Buchpreises schaffte. Noch einmal aufs Bewährte setzen zu wollen, das kann man dem Buch durchaus vorwerfen, und es irritiert anfangs auch etwas. Allerdings – und deshalb ist „Fretten“ auch für jene, die der „Infantin“ schon durch die verstörende österreichische Provinz gefolgt sind, lesenswert – ist der Roman sprachlich noch radikaler und originärer als sein Vorgänger, bleibt auch die Szenerie und Schlagrichtung dieselbe.

Weiterlesen:

https://www.furche.at/kritik/literatur/b...hlecken-9802821


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Sirius
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