ELFRIEDE JELINEK: Angabe der Person
„Angabe der Person“ heißt Elfriede Jelineks neues, autobiografisches Buch. Es beginnt mit einer Steuerfahndung – und läuft auf eine Machtdemonstration hinaus: durch Sprache.
Es gibt ein neues Buch von Elfriede Jelinek. Der Rowohlt-Verlag kündigt an, dass man in „Angabe der Person“ allerhand über die Biographie der Autorin erfahren könne, was vorher noch nicht bekannt gewesen sei. Aber was bedeutet das denn eigentlich? Grundsätzlich ist es erfreulich, wenn es Neues von ihr zu lesen gibt, immerhin ist Jelinek mittlerweile 76 Jahre alt und Literaturnobelpreisträgerin.
Biographie ist für Jelinek nicht als Psychologie interessant, sie ist hier auch nur eine Art Geschmack im Mund. Bereits auf der zweiten Seite des Buches ruft Jelinek ihre Erfahrung mit der Finanzbehörde als Fortsetzung ihrer Familiengeschichte auf: „mein mittelloser Opa im Versteck mit andren, mein Opa war ein Jammerer, unaufhörliches Geseire, hierhin wollte er nicht, dorthin wollte er nicht, in ein sicheres Drittland wollte er nicht, es hat sich ihm auch keins angeboten, ins KZ wollte er auch nicht, er war halt wählerisch, nirgendwohin wollte er, nur bleiben, wo er war, aber das ging nicht, da haben ihm die häufig wechselnden religiösen Bekenntnisse, die kein Gott je hören oder erhören wollte, auch nichts genützt. Doch Geld hatte er keins, und daher war der Zutritt zur Schweiz ihm versperrt, tut uns echt leid.“
In Konfrontation mit der Erzählung von der Ermordung oder Emigration des jüdischen Teils ihrer Familie treten Figuren wie der Kunstsammler Cornelius Gurlitt, Arthur Seyß-Inquart, im Jahr 1938 noch österreichischer Innenminister oder Baldur von Schirach, ehemals Reichsjugendführer. Auf dessen Grabstein stand bis zur Einebnung der Ruhestätte im Jahr 2015 „Ich war einer von euch“. Die perfide Vieldeutigkeit dieses letzten Bekenntnisses buchstabiert Jelinek aus. Die Unterscheidung von einem „wir“, zu dem sich Schirach zählte, und einem „ihr“, zu dem Jelineks Familie väterlicherseits gehörte, ist eine, die sowohl über Leben und Tod als auch über den Erhalt oder den Verlust von Kapital (in Form von Geld, Anerkennung, Chancen) entschieden hat. Und das nach wie vor tut.
In einem weiteren Strang, der sich durch Jelineks Textfläche zieht, verarbeitet sie das gesamte ihr zur Verfügung stehende Tagesgeschehen auf. Bringen die Nachrichtenagenturen eine Meldung zu EU-Regulationen, die den Volkswagen-Konzern betreffen, schlägt sie von da aus einen Bogen zu ihrer Familiengeschichte: „keine Ahnung, wo die hinsteuern im VW, derzeit in Richtung Gericht, derzeit in die Verlustzone, jetzt sind sie schon wieder raus, jetzt wieder drin, ach, wäre ich doch auch dort, in Belgien war ich noch nie! Von dort wurde meine Tante Lotte samt Mutter nach Auschwitz ausgeliefert, das möchte ich mir doch einmal anschauen, dieses Land der Kontinentaldrift, nein, der kontinentalen Einheit, nein, Einigkeit.“
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