Gescheiterte Privatisierungen
Das wird uns noch lange wehtun
Deutschland war mal bekannt dafür, dass vieles gut funktioniert, meint der Historiker Andreas Wirsching. Doch dann sei der Neoliberalismus und die Privatisierung von staatlichen Kernaufgaben gekommen. Damit sei das Land folgenschwer gescheitert.
Im März 2021 fiel in Thüringen der Notruf 110 aus. Das Radio meldete: „Die zuständige Firma ist informiert. Wie lange die Störung dauert, lässt sich nicht sagen.“
110: Kein Anschluss unter dieser Nummer
Wer sich fragt, warum wohl eine private Firma für den klassischen Polizeiruf zuständig ist, der blicke ungefähr 30 Jahre zurück. Damals setzte sich das New Public Management durch, eine Unterabteilung des Neo-Liberalismus. Sein Credo lautete: Privatisierung und Wettbewerb machen auch die Kernbereiche staatlicher Daseinsvorsorge – Sicherheit und Gesundheit, Energie und Verkehr – effizienter. Und vor allem billiger.
In Zeiten knapper Kassen war das für Politiker aller Couleur eine unwiderstehliche Versuchung: Es war doch viel leichter, kostspielige Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge an den Markt abzugeben, als unpopuläre haushaltspolitische Prioritäten setzen zu müssen.
Heute ist die Ideologie des New Public Management folgenschwer gescheitert. Nichts funktioniert mehr richtig; und geradezu verzweifelt suchen Politikerinnen und Politiker, staatliche Handlungsmacht zurückzugewinnen.
Stichwort Sicherheit: Ab 2005 privatisierte das Bundesverteidigungsministerium die Pflege der Panzer. Man gründete die „Heeresinstandsetzungslogistik GmbH“ und machte einen „Share Deal“ mit der Rüstungsindustrie. Infrastruktur und Leistungszusagen wurden verkauft; dafür versprach die Industrie ein „dynamisches Verfügbarkeitsmanagement“.
Mehr McKinsey-Berater, weniger Panzer
Danach stieg die Zahl der McKinsey-Berater an – und die der einsatzbereiten Panzer ging zurück. Heute kratzt der Bundesverteidigungsminister mühsam seine wenigen funktionsfähigen Leoparden zusammen.
Stichwort Gesundheit, wo seit 2003 das Marktprinzip gilt: Die Bundesregierung forcierte die Privatisierung öffentlicher Krankenhäuser und zwang sie in ein ökonomistisches Leistungsregime. Ärzte und Patienten kennen die Folgen seit Langem: ruinöser Wettbewerb, Überbürokratisierung, Funktionsverlust.
Zwanzig Jahre später bemerkte das auch der Bundesgesundheitsminister. Als kranke Kinder wegen Überfüllung der Kliniken zu sterben drohten, fand er, wir bräuchten nunmehr „weniger Ökonomie und mehr Medizin“.
Bei Insolvenz zahlt der Steuerzahler
Stichwort Energie: Bis zum Jahre 2000 wurde die E.ON vollprivatisiert. Damit gehörten ihr zahllose Energiebetriebe, die einst kommunales und staatliches Eigentum gewesen waren. 2016 wurden sie in der börsennotierten Uniper gebündelt, was vor allem den Aktionären nutzte.
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