Wolf Haas: Eigentum
Bildnis eines eigensinnigen, schwierigen Menschen: Der österreichische Erfolgsschriftsteller hat mit „Eigentum“ seiner Mutter ein kleines Denkmal gesetzt.
Von Wolfgang Schneider
Die fünfundneunzigjährige Mutter ist nur noch ein „dünnes Vogerl“ im Rollstuhl. Zudem dement. Nur noch drei Tage hat sie zu leben. Und einen dringlichen Wunsch an den Sohn Wolf Haas, der bei ihr im Altenheimzimmer ist. Er möge doch bitte mit dem Handy dort anrufen, wo ihre Eltern jetzt seien, und ausrichten, dass es ihr gut gehe. Und dass sie dem Vater einen Brennnesseltee gegen die ewigen Erkältungen mitbringen werde.
Haas ist konsterniert. Weniger, weil er die Durchwahl ins Jenseits nicht kennt, sondern weil die Mutter ihm lebenslang eingetrichtert hat, wie schlecht es ihr gehe. Was soll er nun mit der überraschenden Neuigkeit anfangen? Er macht sich an eine Revision des Mutterlebens, schreibt im Wettlauf mit dem Tod.
So wird es zumindest fingiert: Zwei Tage vor ihrem Tod beginnt Wolf Haas diese Aufzeichnungen; rechtzeitig zur Beerdigung will er fertig sein. Dann sollen auch die Erinnerungen der Mutter, die sein Hirn zu kapern drohen, im Roman verbuddelt sein. Die Eile lasse ästhetische Rücksichten nicht zu: „Keine Zeit für Formulierungen.“
Soll man dies glauben, zumal Marianne Haas bereits vor fünf Jahren verstorben ist? Nein, es geht bei dieser Konstruktion darum, dem Mutter-Buch die Form zu geben. Also doch wieder um eine Stil-Frage. Der Stil ist ja seit je das Besondere an den Werken dieses Schriftstellers.
Man liest seine neun Krimis um den knittrigen Ermittler Simon Brenner nicht, um zu erfahren, wer der Mörder ist, sondern um den schrägen Sound mit den rituellen Formeln wie „Jetzt pass auf“ oder „Aber interessant!“ zu genießen. Und um dem Erzähler beim gewitzten Räsonieren über das Menschenleben im Allgemeinen und Besonderen zu lauschen.
Dass literarische Sprache musikalische Qualitäten hat, die wichtiger als die bloße Mitteilung sind, ist auch in „Eigentum“ entscheidend. Mehr noch, der kurze Roman lässt sich als Haas-Poetik lesen. Als Kind war Haas dem mütterlichen Erzählstrom ausgeliefert wie einem zwanghaften Ritual – mit dem Nebeneffekt, dass sein Formsinn geschult wurde.
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https://www.tagesspiegel.de/kultur/eigen...s-10450366.html
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