Peter Härtling: „An den Ufern meiner Stadt“
„An den Ufern meiner Stadt“: Späte Gedichte von Peter Härtling, der sich, den Tod im Blick, in eine seiner produktivsten Phasen stürzte.
Würde man nicht wissen, dass der Autor hinter diesen Versen bereits 2017 verstarb, könnte man sie als unmittelbar der düsteren Gegenwart entsprungen erachten: „Die Kriege brechen von Neuem aus (…). Sie stecken in mir“. Sie zersetzen die Seele, Bilder „haben so gut wie keine Farbe, / wie auch die Wörter keinen Sinn“ mehr. Die Rede ist von Peter Härtling, der die Folgen von Hitlers Feldzug hautnah miterlebte und 1946 als kaum 13-Jähriger vom Osten in den Westen fliehen musste. Dass ihn diese Zeit nachhaltig prägte, liest man noch seinen späten, soeben von seinem Verlag Kiepenheuer & Witsch zusammengestellten Gedichten ab (heute erscheint der Band, am 13. November wäre Härtling 90 Jahre alt geworden).
Doch nicht allein die Erinnerungen verschlagen ihm oft die Sprache, auch das Altern und seine zunehmenden Herzprobleme lassen die Wörter in seinen autobiografischen Miniaturen bisweilen „fasrig“ und porös werden. Denn seit Beginn der 2000er Jahre ist der Autor nicht mehr Herr im eigenen Haus. „Meine Toten wachsen / in mich hinein“, hält er beklemmend fest. Und doch gehört die letzte, nicht ganz zwei Dekaden umfassende Phase seines Lebens zu seinen produktivsten überhaupt. Die Poeme entstehen, die Kreativität scheint ungebremst. Es gilt das antithetische Credo: „In Gedanken rastlos unterwegs, / aber schlecht zu Fuß“.
Also setzt sich Härtling bisweilen hinter das Glas seiner Behausung und entwickelt seine Fenstergedichte, die, wie er selbst betont, an die ähnlich beengte Schreibsituation Friedrich Hölderlins im Tübinger Turm anknüpfen sollen. Auf kleinstem Raum vermisst und beobachtet er das Treiben auf der Straße, erfasst Spaziergänger oder Stürme, ohne jedoch einer schnöden Wirklichkeitsdokumentation verhaftet zu bleiben. Nein, der Holzrahmen besteht nur, um ihn sogleich mittels dichterischer Fantasie zu überwinden. Etwa wenn er einen vorüberziehenden Heißluftballon sieht und sich unter die Passagiere mischt. Oder wenn er „die Jahre zurückzählt – bald wird das Kind draußen zu erkennen sein“, jenes, das er selbst einmal war.
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