Claire Keegan.: Reichlich spät
Der kleine ´Roman beginnt mit einer alltäglichen Szene: ein Mann sitzt an einem Schreibtisch im Büro und ist mit der Buchhaltung beschäftigt.
Diese alltägliche Szene entwickelt sich zu einem Blick auf Cathals Leben. Absatz für Absatz wird der präsentierte Alltag dubioser. dubioser. Warum meidet Cathal die Begegnung mit anderen? Warum ist sein Chef so fürsorglich-freundlich? Was ist passiert? Satz für Satz dringt der Leser in die Situation ein, und dieses Eindringen wird umso intensiver, als die Autorin strikt bei Cathal als Erzählinstanz bleibt und das Geschehen und die Rückblicke immer durch Cathals Bewusstsein laufen lässt.
Zunächst ist der Leser auf Cathals Seite und empfindet Mitleid mit ihm, aber dieses Mitleid wandelt sich allmählich in Befremden, wenn Cathal auf die Beziehung zu Sabine zurückschaut. Das Befremden steigert sich bei seinem Rückblick auf seine eigene Kindheit. In subtilen Formulierungen, fast wie hingetupft, entwickelt die Autorin das Bild eines misogynen Mannes, der von Kind auf lernte, Frauen zu verachten. Seine Verachtung zeigt sich jetzt nicht mehr in Gewalt, sondern in Geiz und Egozentrik. Er ist enttäuscht, weil seine Partnerin zu viel Geld für Lebensmittel ausgibt; er fühlt sich gestört, weil sie eigene Möbel in den Haushalt mit einbringt; er ist verärgert, weil sie eigene Kontakte knüpft, kurz: er hat sie sich anders vorgestellt und ist enttäuscht, weil sie sich seinen Erwartungen nicht anpasst.
Erst im letzten Satz lässt der Erzähler den Leser direkt in den Abgrund blicken, um den es geht. Und der Leser bleibt betreten zurück, da er bei Cathal keinerlei Selbstreflexion oder Entwicklung erkennen kann.
Ein desillusionierender Blick auf die irische Männerwelt.
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