Jackie Thomae: Glück
Zwei beruflich sehr erfolgreiche Frauen hadern mit ihrer Kinderlosigkeit. Davon erzählt Jackie Thomae in ihrem neuen Roman und trifft dabei einen Nerv, der in unserer Gegenwart sehr offen zu Tage liegt.
von Alexander Solloch
Zwei Frauen unter Millionen Frauen. Die eine möchte gern ein Kind, weil ihr Körper ihr diesen Wunsch zu signalisieren scheint. Die andere möchte gern ein Kind, weil sie Angst hat, bei etwas Verbotenem erwischt zu werden. Gibt es Verboteneres als Kinderlosigkeit in ihrem Alter? Was sie eint: Sie gehen auf die 40 zu und haben keinen festen Partner. "Jetzt aber schnell", raunt es ihnen von überallher ins Ohr, und ihre inneren Stimmen verstärken diesen Sound noch:
Ich sehe einen Zug davonfahren. Ich sehe die Rücklichter. Ich sehe eine Tür, die sich langsam schließt, ich bleibe allein in einem dunklen Zimmer zurück. Ich sehe eine Sanduhr, durch die rieselt die Zeit, die mir noch bleibt. Ich sehe mich selbst bei der Reise nach Jerusalem. Ich sehe mich selbst auf einem Wühltisch. Und auch ich wühle auf einem Wühltisch herum und suche nach Ladenhütern. Die Guten sind weg. Ich bin zu spät.
Marie-Claire Sturm, erfolgreiche Radiomoderatorin und Podcasterin, hat eine Heidenangst vor ihrem 40. Geburtstag und will sowieso diese Lebensphase am liebsten einfach überspringen, damit alle Fragen des Lebens, vor allem die K-Frage, endgültig geklärt sind. Aber sie kommt da nicht raus - sie selbst lässt es gar nicht zu: So lädt sie sich die neu ernannte Berliner Bildungssenatorin Anahita Martini in ihre Sendung, die im zweiten Handlungsstrang mit ihrer Kinderlosigkeit hadert - nicht, weil sie unbedingt ein Kind haben will, sondern weil sie glaubt, dass sie eins haben sollte.
Frau Martini, Sie als alleinstehende, kinderlose Frau, jetzt als Senatorin für Bildung, Familie und Gedöns, haha, verzeihen Sie mir diesen Altkanzlerspruch, aber ernsthaft: Haben Sie nicht manchmal das Gefühl, dass es für diese Position nicht nur einer fachlichen Kompetenz bedarf, sondern auch einer, wie soll man sagen, persönlichen Kompetenz?
Ihre imaginäre Interviewpartnerin meldete sich zu Wort, eine Stimme, die irgendwann aufgetaucht war, um Anahita mit heiklen Fragen zu konfrontieren, bevor andere es taten. Die Frage stand im Raum.
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