Linn Ullmann: Mädchen, 1983
Das Mädchen und der Modefotograf: In ihrem autofiktionalen Roman spürt Linn Ullmann, Tochter von Liv Ullmann und Ingmar Bergman, den weißen Flecken in ihren eigenen Erinnerungen nach – und schafft absichtsvoll Uneindeutiges.
Januar 1983, das Mädchen ist sechzehn. Eigentlich ist es auf dem Sprung zur jungen Frau, hat schon einiges erlebt, Alkohol, Lügen, Sex, Sich-Ausprobieren. Sie lebt in New York mit ihrer Mutter, einer berühmten norwegischen Schauspielerin. Ein angesagter Modefotograf, genannt A, hat sie nach Paris eingeladen, will sie für die „Vogue“ fotografieren.
Ich bin sechzehn Jahre alt und lege meine verschränkten Arme auf den hohen Tisch vor mir, lasse die Wange auf einem Arm ruhen und schaue in die Kamera. Auf dem Foto, das es nicht mehr gibt und an das sich außer mir wohl niemand erinnert, sieht man ein wenig von meinen nackten Schultern. Ich glaube, der Sinn des Fotos ist, Nacktheit anzudeuten, und dass alles, was eine junge Frau tragen muss, wenn sie in die Welt hinauswill, ein Paar lange Ohrringe ist.
Linn Ullmann – Mädchen, 1983
Die Mutter des Mädchens hat das anders gesehen. Gegen deren Willen ist die Sechzehnjährige nach Paris gereist. Prompt erlebt sie einen verstörenden ersten Abend in den Kreisen der eifrig koksenden Mode-Boheme, und prompt steht sie mitten in der Nacht in blauem Wollmantel, roter Mütze und geliehenem kurzen Kleidchen frierend auf der Straße, weiß ihr Hotel nicht mehr, landet schließlich bei A.
Und in seinem Bett. A ist vierundvierzig.
Eine simple Story? Nicht bei Linn Ullmann. In allen Romanen der norwegischen Autorin spielen Verschweigen, Vergessen und Erinnerung eine zentrale Rolle, die Dynamiken, denen sie unterworfen sind und die von ihnen ausgelöst werden.
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