Sirius auf dem Weihnachtsmarkt
Wenn ich mal ein Taxi brauche, ist keines da. Alle in der Werkstatt, beim TÜV oder bei der Weihnachtsfeier für Taxifahrer.
Gehe ich zu Fuß, werde ich von Taxis geschnitten, angehupt, bedroht und überrollt. Dann sind mehr Taxis unterwegs als DHL-Wagen.
Fahre ich mit der Straßenbahn, fahre alle Straßenbahn, die sonst ein Taxi nehmen. Busse sind meist leer, bis ich einsteige, dann kommen sie alle unter ihren Sitzen raus.
Ich renne zur S-Bahn-Station, rufe laut „Taxi, Taxi!“, und springe in den nächsten Bus. Der ist rappelvoll und alle grinsen.
Die Lemminge sind mir immer voraus. Das macht das Kollektivbewusstsein.
Auf dem Weihnachtsmarkt gibt es gefühlt dreihundert Bratwurstbuden, aber die Bude, an der ich stehe, legt gerade frische Wurst auf den Grill. „Das dauert einen Moment“. Um mich herum fünfhundert Leute, die Bratwurst essen, manche schon die elfte, nur damit ich keine bekomme.
Bei Thalia will ich ein Buch kaufen. „Kühe grasen nicht“ von Piet Klocke. Ich fahre mit der Rolltreppe in die erste Etage, zwanzig Leute rennen plötzlich die Treppe hoch, jeder schnappt sich das Buch „Kühe grasen nicht“, ich bekomme keins mehr.
Haha, ihr Idioten, denke ich, reingelegt! In Wirklichkeit will ich nämlich Torsten Sträters „Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben“.
„Moment, der Herr war vor Ihnen dran.“
„Kein Problem.“
Der Herr vor mit tauscht sein Klocke-Buch um, will lieber den Sträter. Und neunzehn andere auch. Gut, dann nehme ich eben den Klocke. Klocke ist aus. Aber da liegen doch zwanzig neue Bände.
„Das sind „Retourausgaben“, bereits gebraucht.“
„Frag ich mal so: Welches Buch hier im Laden darf ich kaufen?“
Die zwanzig Leute schütteln den Kopf. „Tut mir leid“, sagt der Verkäufer, „wir sind total ausverkauft.“
„Ach so ist das. Na gut, ich kann auch anders.“
Ich gehe gemütlich aus dem Drecksladen, renne auf ein Taxi zu, schubse ein paar Leute, die mich abdrängen wollen, vor den Bus, hechte auf die Rückseite des Taxis, durch die andere Tür wieder raus, rolle mich unter einen fahrenden Bus hindurch, schnappe mir das nächste Fahhrad, fahre damit die Treppen zur S-Bahn hinunter, die andere Seite wieder hinauf, springe vom Fahrrad in die nächste Bratwurstbude, schnappe mir zwei Bratwürste, rolle mich über den Tresen ab, renne zur nächsten Autoscooter, nehme Wagen 7 und flüchte über die Bahn, Wagen 3 und 19 hinter mir her, ich kann sie nicht abschütteln, fahre zudem einhändig wegen der Bratwurst.
Ich springe hinaus, rufe „Feuer, Feuer“ in die Menschenmenge, stürme zur Mandelbude, wo zwei Zentner gebrannte Mandeln liegen. „Alle vorbestellt, sorry“. Laufe weiter zur Waffelbude, bedrohe die Verkäuferin mit der zweiten Bratwurst auf Herausgabe einer Waffel. Sie schluckt blitzschnell eine Zyankali-Tablette.
Die wütende Menge inzwischen hinter mir her, sie wollen die Bratwurst zurück.
Ich flüchte in den Kaufhof und alarmiere unterwegs per Handy einen Notarztwagen, bewerfe die Verfolger mit 200 g Rumkugeln, hetze in den dritten Stock, springe von hieraus über das Treppengeländer in die Spitze des aufgebauten Weihnachtsbaumes. Dieser stürzt in stiller Nacht samt Lichterketten über die Süßwarenabteilung hinweg in die Bücherpyramiden in der Schreibwarenabteilung. Ich rolle mich über einen Ho-ho-ho-Weihnachtsmann ab, greife mir im Aufstehen „Kühe grasen nicht“ und flitze durch den rückwärtigen Ausgang ins Freie, wo gerade der Notarztwagen ankommt.
Ich frage, ob ein Holznasenohrenarzt dabei ist und deute auf die Menge, die unter dem Weihnachtsbaum liegt.
Die Erste-Hilfe-Männer spurten los und ich schwinge mich hinter das Steuer und schalte die Sirene ein. Mit einem Affenzahn presche ich über den Weihnachtsmarkt, das Volk liebt ja Action, rausche durch einen Glühweinstand („Wir setzen erst gerade einen neuen an!“), eine Riesenpfanne frischer Champignons fliegt in die Holzarbeiten der Erzgebirgsbude, die Rückwand der „Honigleckereien“ im Schlepptau brettere ich durch „Hannes Weihnachtskugeln“, eine Bufftata-Blaskapelle rettet sich mit einem Sprung in die leckeren „Kräbbelchen“. Polnische Gänse fliegen auf deutsche XXL- Eier von freilaufenden Bauern und drei Fässer Bier rollen auf Heidis Kerzenbude zu, die abwehrend die Hände hebt. Mit Blaulicht an der Lebkuchenbude entlang, ein großes Herz „Für immer Dein“ ziert die Gangschaltung, der Kühler voll mit Regenschirm-Lollis.
Ein wenig die Schiffschaukel angestupst, auf zwei Rädern eine Kiste Clementinen verladen und aufs Gaspedal verstaut, dann ein beherzter Sprung in die Weihnachtsmann-Anzüge, während der Notarztwagen eilig ins Schaufenster von Thalia düst.
Ich rappel mich auf und genieße die besinnliche Stimmung.
Das war fast so schön wie letztes Jahr auf dem Oktoberfest bei meiner Bierzelt-Fete. Man braucht nicht immer viel Geld, man kann sich auch an den kleinen Dingen erfreuen.
Aber wie komme ich jetzt nach Hause?
Wenn ich mal ein Taxi brauche, ist keines da. Alle in der Werkstatt, beim TÜV oder..
Sirius
Reset the World!
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Ich hoffe, du gehst morgen nicht auf den Weihnachtsmarkt, Sirius! Es sollte reichen, dass ich unterwegs bin.
Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.
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Wunderbar verrückt, Sirius...
Du brauchst keinen Abenteuerurlaub, du gehst eben auf den Weihnachtsmarkt, oder zu Thalia.
Ich bin begeistert von deinem Amoklauf, du hast mich wieder einmal wunderbar unterhalten!
Amüsierte Grüße
Jonny
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Alles gut, Lotte, ich bin zu Hause geblieben. und ich raste ja nur ganz selten aus. Ich danke dir!
Und schön, dass du dich wieder amüsiert hast, Jonny. Ich glaube, manchmal steigere ich mich zu sehr rein, wenn es lustig wird. Ich danke auch dir!
Sirius
Reset the World!
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Hohoho ach nee, hahaha...
Herrlich, wie ein Film das ganze Spektakel, hab mich köstlich amüsiert.
Leo, noch immer breit grinsend
Schreiben macht schön.
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