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RE: Sirius unterwegs (Fortsetzung)

#1 von Sirius , 03.02.2017 00:42

Sirius unterwegs

"Neulich" hab ich mal frei gemacht. Einfach mal raus, mal was erleben, Hab ich mir gedacht, fahr mal mit der Bahn, da weiß man eh nicht, ob und wann und wo man ankommt, das ist noch Abenteuer pur. Das Abenteuer begann schon beim Fahrkartenkauf: Kein Schalter geöffnet, drei verschiedene Automaten, vermutlich für jeden Waggon einen anderen. Früher kamen die Züge von der Bundesbahn, ein Schalter, ein Automat, ein Zug. Heute kann sich jeder eine Lok kaufen, den Lokführerschein im Internet kaufen, eine Strecke mieten, die für die Bahn unrentabel ist – und ab geht’s.

Also erst den Fahrplan studieren, schauen, welcher Anbieter sich erbarmt, in das Heimatnest einen Zug zu entsenden, dann den passenden Fahrkartenschalter wählen, dann den Tarif wählen, bezahlen, Fahrschein entnehmen – und dann zu Fuß los!
Ja, zumindest auf dem Land ist man dann schneller am Ziel, weil nämlich die betroffenen Lokführer streiken, was sie aber leider erst in der vergangenen Nacht um drei Uhr morgens beschlossen haben, was man wiederum erst um neun Uhr morgens erfährt, dass der Zug um acht nicht gefahren ist.

Wir nehmen jetzt einfach mal an, dass es mir irgendwie gelungen ist, an eine Fahrkarte zu kommen, dass ich auf dem Bahnhof nicht zusammengeschlagen wurde, dass der Zug tatsächlich kam und nicht mehr als die üblichen zwanzig Minuten Verspätung hatte.
Nun hält auf dem Land meistens nicht der Intercity, schon gar nicht, um vor jeder Scheune zu halten oder einen in den Nachbarort zu bringen, der nur drei Kilometer entfernt ist. Deshalb muss man manchmal mit einer Art Museumsbahn fahren, nur zwei Waggons, und eine Lok braucht man nicht, die ist irgendwo integriert, ich weiß nicht wo, aber der Zug kann fahren.
Im ersten Waggon liegen massenhaft Pakete auf dem Boden, zwei Fahrräder stehen an der Wand, eine Mutter mit einem Kinderwagen, Bauer Harms mit seinem Milcheimer, ein Förster mit seinem Hund, ein Vertreter für Melkmaschinen, eine Religionslehrerin und der Medikamentenverteiler einer Apotheke. Auf den zwei Sitzbänken stehen Koffer und Taschen.

Man stellt sich also dazu und wartet. Der zweite Waggon ist vollkommen leer, weil keiner sich traut, da rein zu gehen und sich aus der Dorfgemeinschaft auszuschließen.
Nach drei Minuten ertönt zweimal eine entsetzliche Zugsirene, weil der Zug gerade über eine schienenverlegte Weide und einen ungepflasterten und unbeschrankten landwirtschaftlichen Weg fährt. Das wiederholt sich in den nächsten dreißig Minuten noch sechsmal. Der einzige Fahrgast, der das lächelnd übersteht, ist die Religionslehrerin. Die fährt die Strecke seit dreißig Jahren und ist inzwischen taub.
Ich bin aber schon nach sechs Minuten ausgestiegen, weil ich den Nachbarort erreicht habe, in dem ich in meinem ganzen Leben noch nie war.
Natürlich bin ich oft mit dem Auto durchgefahren, weil anschließend gleich die Autobahn kommt, aber dort anzuhalten, so hartgesotten und verwegen sind die Wenigsten.

Ich bin also heil angekommen und mein Abenteuer kann beginnen.

Ende Teil 1

Ja…
Als erstes bewundere ich das originalgetreue Bahnhofsgebäude aus der Pionierzeit, das völlig Natur belassen auf den nächsten Sturm wartet.
Hier also drehen die Amerikaner immer ihre Western, denke ich.
Die Bahnhofstür steht auf, vermutlich seit Jahrzehnten, weil niemand die Tür berühren mag.
In der kleinen dunklen Bahnhofshalle ist ein mit einer Jalousie verschlossener Schalter, darüber eine Uhr, die 9 Uhr 30 zeigt. Es ist aber erst 8 Uhr 30, und ich habe noch nicht gefrühstückt.
Linker Hand befindet sich eine Tür mit einer Milchglasscheibe zu einem Gastraum.
Ich murmele simsalabim, drücke die Klinke hinunter und die Tür geht auf.
Ich durchquere den zehn Meter langen Gang an leeren Tischen und Stühlen vorbei, bis ich vor einem Tresen haltmache, hinter dem eine ältere Frau sich gerade den Mantel auszieht.

„Haben Sie schon geöffnet?“, frage ich.
„Nein.“
„Die Tür ist aber auf.“
„Ja.“
„Warum ist die Tür auf, wenn Sie geschlossen haben?“
„Weil hier sonst morgens kein normaler Mensch herein kommt.“
„Ich bin aber ein normaler Mensch.“
„Das sagen Sie.“
„Aber Sie sind auch hier.“
„Ich arbeite hier.“
„Sie bedienen hier?“
„Ja.“
„Würden Sie mich bedienen?“
„Nein. Wir haben noch geschlossen.“
„Und wann öffnen Sie?“
„Um zehn.“
„Kommt dann ein normaler Mensch?“
„Nein.“
„Warum öffnen Sie dann?“
“Weil ich hier arbeite.“
„Aber was arbeiten Sie denn?“
„Ich bediene die Gäste?“
„Welche Gäste?“
Die Frau schaut mich böse an.
„Was haben Sie für einen Auftrag?“
„Ich habe nur Hunger.“
„Wir öffnen um zehn.“

Ich gehe wieder und verlasse den Bahnhof durch den Ausgang zur Straße.
Rechts führt die Straße zu einer verlassenen Ziegelei, links geht es in den Ort.
Ich entscheide mich für links.
Nach zweihundert Metern komme ich an einen Kiosk vorbei mit einem geöffneten Schiebefenster. Ein Mann lehnt mit den Ellenbogen auf dem Tresen.
Ich frage, ob er geöffnet hat.
Er deutet mit dem Daumen auf eine Scheibe, auf der die Öffnungszeiten stehen.
Er öffnet um 9. Jetzt ist es 8 Uhr 45.
Ich frage ihn, ob er eine Verwandte hat, die im Bahnhof arbeitet.

Wird fortgesetzt fortgesetzt


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RE: Sirius unterwegs (Fortsetzung)

#2 von Letreo71 , 03.02.2017 22:53


Herrlich, Sirius.
Das muss irgendwo im Osten gewesen sein, ich erinner mich, als wäre es gestern gewesen.

Leo, amüsiert


Schreiben macht schön.

 
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RE: Sirius unterwegs (Fortsetzung)

#3 von Sirius , 03.02.2017 23:19

Ich weiß nicht mehr, ob es im Osten war. Ich bin froh, dass ich wieder zu Hause bin.
Danke, Leo!!

Sirius


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RE: Sirius unterwegs (Fortsetzung)

#4 von scrabblix , 03.02.2017 23:40

Dir passieren aber auch immer Sachen, Sirius... Anders wär aber auch langweilig.

Liebe Lottegrüße


Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.

 
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RE: Sirius unterwegs (Fortsetzung)

#5 von Sirius , 03.02.2017 23:45

Ja, Lotte, wenn ich unterwegs bin, gibts immer viel zu lachen. Meistens für die anderen..
Dankeschön!

Sirius


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RE: Sirius unterwegs (Fortsetzung)

#6 von Sirius , 10.02.2017 00:06

Ich gehe weiter um eine Rechtskurve und bin nun vermutlich in der City, denn ich sehe einen Rotzmann-Markt. Durch das Schaufenster kann ich eine Kassiererin erkennen, aber ich weiß inzwischen, das hat nichts zu sagen.
Ich gehe drei Stufen hinauf durch eine Ladentür – und befinde mich in einer Art Einkaufscenter: Eine Post, eine Apotheke, eine Wäscherei, ein Lottoladen, ein Frisör und daneben der Eingang zum Rotzmann. Und das alles auf etwa 12 Quadratmeter.

Ein Mann in einem Kittel steht ganz links hinter dem Schalter „Post“ und sortiert Briefe.
Sonst ist kein Personal zu entdecken.
Ich gehe zu dem Schalter „Post“ und bitte um eine Postkarte.
Der Mann deutet auf eine Postmütze, die auf seiner Seite vor dem Schalter liegt.
„Habe ich die Mütze auf? Nein! Die Post hat noch geschlossen!“
Ich schlage mich mit der Hand vor die Stirn als Entschuldigung für meine Dummheit.
Ich gehe am Schalter „Wäscherei“ vorbei und bleibe vor dem Schalter „Apotheke“ stehen.
Der Mann im Kittel kommt sofort angerannt und fragt, was ich wünsche.
„Die Apotheke hat schon auf?“, frage ich verwundert.
„Natürlich. Was denken Sie, was ich hier mache?“
„Ich dachte, Sie sind für die Post zuständig.“
„Das bin ich auch. Und für die Wäscherei. Und für die Apotheke. Und ich schneide Ihnen die Haare.“
„Aber Sie haben eben gesagt, die Post hat noch geschlossen.“
„Die Post ja, aber die Apotheke hat auf.“
„Sie sind Apotheker und Frisör in einem?“
„Natürlich, hier ist wenig Betrieb.“
„Braucht man nicht als Apotheker eine Ausbildung?“
„Der Apotheker mit der Ausbildung ist krank. Ich mache keine medizinischen Aussagen, ich gebe nur die Medikamente raus.“
„Und das dürfen Sie als Frisör?“
„Ich bin kein Frisör, ich schneide nur die Haare. Ich bin Tankwart von Beruf.“
„Es gibt doch hier gar keine Tankstelle.“
„Früher gab es mal eine, aber die hat sich nicht rentiert. Da habe ich den Laden hier übernommen.“
„Und nun verkaufen Sie so einfach Medikamente?“
„Ach, das ist ganz harmlos. Es sind ja immer die gleichen Tabletten für die paar Leutchen, die hier wohnen.“
„Aha. Wissen Sie, ich komme aus der Stadt, da ist man noch nicht so fortschrittlich. Und eigentlich habe ich Hunger. Gibt es hier einen Bäcker?“
„Ja, im Rotzmann. Na ja, zumindest ein Brotregal. Das wird aber erst um 10 Uhr beliefert.“
„Toll, dann hat man ja schon zum Mittagessen frische Brötchen.“
„Brötchen gibt es nur zum Aufbacken. Die kommen aber erst um 14 Uhr mit dem Lieferanten. Ich kann Ihnen solange die Haare schneiden.“
„Was meinen Sie mit „solange“? Es ist noch nicht einmal 9?“
„Das kann schon etwas dauern, weil ich ja zwischendurch immer mal bedienen muss.“

Ich bin dann doch nicht beim Rotzmann rein.


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RE: Sirius unterwegs (Fortsetzung)

#7 von Letreo71 , 10.02.2017 14:44



Ach ein schöner Nonsens, Sirius.


Schreiben macht schön.

 
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RE: Sirius unterwegs (Fortsetzung)

#8 von Sirius , 20.02.2017 00:30

Schön, wenn du lachen kannst, Leo!


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