Anti-Gedichte
In diesem Faden werden Zitate und Gedichte auf die Schippe genommen. Den Anfang macht als Aufhänger „Wandrers Nachtlied“ („Ein Gleiches“) vom ollen Goethe:
Über allen Gipfeln
ist Ruh.
In allen Wipfeln
spürest du
kaum einen Hauch;
Die Vöglein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
ruhest du auch. (1780)
Und hier die anderen Versionen:
In allen Schlüpfern
ist Ruh.
In allen Zipfeln
spürest du::
Gar nichts ist wach!
Das Vögeln verschweigen wir Balde.
Wart nur, im Walde
leg ich dich flach.
Sirius
Hausvaters Abschied
In allen Stuben
ist Ruh,
und von den Buben
spürest du
kaum einen Hauch.
Die Gattin ist schon zu Bette;
Bald, wette ich,
schnarchest du auch.
Anonyme Parodie 1892
Zechbruders Nachtlied
In allen Wirtshäusern
ist Ruh,
in allen Restaurationen
spürest du
kaum noch Gebraus;
Der Wirtshauslärm verhallte
Gehst du nun noch nicht balde,
wirft man dich raus.
Anonyme Parodie 1893
Aus dem Tagebuch eines jungen Arztes
Über allen Wipfeln
ist Ruh,
in meinem Sprechzimmer
fühlest du
kaum einen Hauch.
Die Patienten bleiben zu Hause.
Warte nur, balde
schlafe ich auch.
Anonyme Parodie 1893
Ein Gleiches
Über allen Huren
gipfelst du,
in allen Spuren
wipfelst du
Hauch aunen Keim;
Die Schweigelein vögeln im Walde.
Warte nur, balde
zipfelt dein Reim.
Henning Venske, 1972
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Über allen Kipferln ist Ruh
Keine Mäuler plappern.
Keine Löffel klapperm.
Keine Küchendüfte
schwirren durch die Lüfte.
[...]
Friedlich ruhn Pralinen
aus in den Vitrinen.
Und nicht eine Oma
liegt im Sahne-Koma.
[...]
Heute herrscht, merkt man im Nu,
über allen Kipferln Ruh.
Miriam Francis, Ich will den Tag noch vor dem Abend loben
Vorwärtsschreiter Tagelied
Über allen Gipfeln
geht man ran.
In allen Wipfeln
spürt jedermann
Kraft und Elan.
Die Vögelein zwitschern im Walde.
Warte nur, balde
singst auch du im Laienzirkel 1. Sopran.
Hansgeorg Stengel, 1961
Demnächst der letzte Hauch
Warte nur
balde ruhst du auch.
Frieder Stöckle, Auch ich lebe noch, 1982
Ein Ähnliches
Hübsch eingeritzt
ein für allemal sitzt
das, spürest du.
Du bist im Nu
wie die Vöglein schweigend im Walde.
Warte nur! Balde
rutscht die Müllhalde
auf dich zu.
Karl Krolow, zitiert aus Arnfried Astel, Zu Goethes berühmtesten Gedicht, 1982
Ein Leiches
Über allen Gipfeln
war Ruh,
in allen Wipfeln
spürest du
kaum einen Hauch;
Jetzt schweigen die Vöglein im Walde
für immer.
Warte nur! Balde
tun wir es auch.
Karlhans Frank, zitiert aus Amfried Astel, Zu Goethes berühmtesten Gedicht, 1982
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Ein Ungleiches – Einige Leichen
Warte nur! Balde
Ruhest du auch.
Und zwar wie?
Zwischengelagert? Entsorgt?
Und warum da
nicht Sie?
Ich fange von vorne an
Das klingt viel höflicher dann:
Über allen Gipfeln
ist Euphemie,
in allen Wipfeln
spüren Sie
kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde
Bitte warten Sie! Balde
ruhen Sie auch.
(Die Euphemie versteht sich von selbst bei Goethen:
Er sagt ja auch Ruhen
wenn er Steben meint oder Töten)
Oder lieber nicht ruhig Blut?
Also gut, mit etwas mehr Wut:
Unter allen Gipfeln
fließt Blut,
in allen Heuchlern
spürest du
kaum einen Jammerlaut!
Die Vögelein menscheln im Walde.
Gipfle nur! Balde
watest du auch
im Blut.
Erich Fried, Die Nacht suchen, 1982
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Anti-Gedichte
„Wer reitet so spät bei Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.“
(Erste Strophe von Johann Wolfgang von Goethes Ballade „Erlkönig“ (1782))
Wer wandert so spät durch Nacht und Wind?
Ein Dichter mit seinem Musenkind.
Im Arme hält er das Manuskript,
Sorgfältig hat er es abgetippt.
[..]
Walter Deneke zitiert Ernst Heimeran
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Lord Halifx ist es mit seinem Kind! (1941)
Karikatur in „Kladderadatsch“
Wer schreitet so spät, fünf Minuten vor zwölf?
(Dass Gott doch allen Kranken helf!)
Es ist der Deutsche in Nacht und Harm
Mit seiner Demokratie im Arm. (1947)
Friedrich Wendel zitiert Karl Hoche
Der König Erl
(frei nach Johann Wolfgang von Frankfurt)
Wer reitet so spät durch Wind und Nacht?
Es ist der Vater. Es ist gleich acht.
Im Arm den Knaben er wohl hält,
er hält ihn warm, denn er ist erkält.
Halb drei. Halb Fünf. Es wird schon hell.
Noch immer reitet der Vater schnell.
Erreicht den Hof mit Müh und Not -
der Knabe lebt, das Pferd ist tot. (1974)
Heinz Erhardt
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es sind die Europäer mit ihrem Rind. (1975)
Karikatur in „Der Spiegel“
Wer knattert so spät durch Nacht und Wind?
Es isch en Outofahrer mit hertem Grind!
Mitternacht ist längst vorbei
u jez chunt er ändlech hei.
Erreicht die Garage mit Weh und Ach
u schmettert d Oututüre mit gröschtem Krach!
Dann geht er schlafen und träumt von Musen
u alli Nachbarslüt chöi nümme pfuusen!
Fazit:
Settig go eim uf ds Gäder! (1979)
Fritz Hofmann
Wer reitet geschwind
Durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind.
Das Kind, das erkält sich den Arsch -
Weg warsch. (Vor 1980)
Ernst Bornemann
Wer grunzt so laut
bei Nacht und Wind?
Das ist der Spieß,
der schnarcht im Spind. (1985)
Bernd Thomsen
Wer reitet so spät
durch Nacht und Wind?
Es ist der Metzger,
er sucht ein Rind.
Er findet kein Rind,
kein Schaf, kein Schwein,
er muss auf dem Weg
zum Sozialismus sein. (1986)
Bernd Thomsen
Wer reitet so spät
durch Nacht und Gewitter?
Das ist Harald Huhnke,
der holt noch nen Liter. (1987)
Angelika Franz
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