"Irgendwo in diesem Dunkel":
Gefrierbrand in der Herzgegend
Natascha Wodin erinnert sich an ihren gewalttätigen Vater.
Eine Rezension von Marcus Clauer
Das Foto auf dem Umschlag von Natascha Wodins neuem Buch ist gut gewählt, hochsymbolisch. Es zeigt sie, ein Mädchen mit opakem Blick und Pagenkopf. Daneben einen jähen Schatten. Es ist am Grab der Mutter aufgenommen, um die es im Vorgängerwerk geht, Wodins Erfolgsmemoir Sie kam aus Mariupol. Der Vater führt darin eine Marginalexistenz. Jetzt aber ist er, der Schemen neben dem Kind, die Hauptfigur. Das neue Buch spielt am Tag seiner Beerdigung, blendet assoziativ zurück und wühlt mit kühler Präzision Erinnerungen auf. Aber auch diese zweite Herkunftsgeschichte eines Luftwurzel-Kinds staatenloser Zwangsarbeiter aus Russland zeichnet vom Vater ein verwischtes Bild. Denn anders als bei der Spurensuche nach der Mutter bleibt die Faktenlage dünn. Er, ein böser Mann, der das Leben der Tochter bis zum Schluss vergiftet.
Was Wodin weiß: Er ist 1900 an der Wolga geboren, in Kamyschin, Russland, 1989 gestorben in Franken. Ein Jahrhundertschicksal, verhärtet im Würgegriff der Revolution und zweier Diktaturen. Nach Nazideutschland verschleppt, ist er in der Bundesrepublik nie richtig angekommen. Ein Don-Kosaken-Chor-Sänger und Hilfsarbeiter. "Brauche", "brauche nix", zwei deutsche Wörter kennt er. Seine Erzählungen auf Russisch reißen immer ab. Um mehr von ihm zu erfahren, muss Wodin notgedrungen von sich erzählen, erste Person Singular. Das gelingt berührend.
Weiterlesen:
https://www.zeit.de/2018/48/irgendwo-in-...vater-literatur
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