Alles geht in Trümmer – und das, was Öffentlichkeit war, wird bald nicht einmal mehr eine Erinnerung gewesen sein
Wo jeder seine personalisierte Öffentlichkeit hat, da gibt’s keinen echten Streit mehr und auch keinen Kompromiss. Volksparteien zerfallen, die Feuilletons dieser Welt werden bedeutungslos. Was bleibt, sind: Zersplitterung und Erbitterung. Ein Abgesang.
Vor einiger Zeit las ich ein Interview mit einem Klimaforscher, mit dem Titel «Für Pessimismus ist es zu spät». Gernot Wagner, ein Österreicher, der in Harvard forscht, beschrieb den Klimawandel als das «perfekte Problem». Selbst wenn wir es schaffen würden, unsere Emissionen von einem Tag auf den anderen abzudrehen wie einen Lichtschalter, schnellten die Temperaturen erst recht katastrophal hoch. Warum? Weil wir nicht nur das klimaschädliche CO2 in die Atmosphäre blasen, sondern auch das luftverschmutzende SO2, das die Sonneneinstrahlung abmildert. Es wirkt für die malträtierte Erde wie ein Sonnenschirm.
Das «perfekte Problem» ist eine Formulierung, die mir seither nicht mehr aus dem Kopf geht. Sie scheint der perfekte Ausdruck für unsere gesamte Lage. Die Aussichten sind apokalyptischer denn je. Und trotzdem, oder gerade deshalb sagt dieser Klimaforscher voller vibrierender Energie: Für Pessimismus ist es zu spät.
Dieser Geist passt zu Ludwig Börne. Er war der Prometheus der deutschsprachigen Publizistik, er hat ihr das Feuer gebracht. Für sein scharfes, wie ein Schwert geführtes Wort ohne Rücksicht auf Höflichkeiten oder Comment verehren wir ihn bis heute. Er hat vor zweihundert Jahren das Licht einer kulturellen Errungenschaft angezündet, das wir gerade ausblasen.
Dieses Ende ist nicht etwa deshalb gekommen, weil das Personal nicht mehr taugt. Das Ende ist auch kein blosses Abgelöstwerden, wie es früher den Melkern, den Setzern, den Schneidern und Kürschnern widerfahren ist. Das wäre nur traurig. Dramatisch aber ist, dass sich die Öffentlichkeit als solche, die sich damals erst gebildet hat als eine Gegenöffentlichkeit zum Staat, gerade komplett auflöst. Ihre Bestandteile sind zwar noch da, aber so fragmentiert wie das Mikroplastik in den Ozeanen. Wen wollen wir denn heute noch erreichen, wenn wir in der Paulskirche sprechen, wenn wir in der NZZ oder in der FAZ schreiben?
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https://www.nzz.ch/feuilleton/eva-menass...fall-ld.1484079
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